Gößling, Andreas
vor sich herbläst.
»Tu’s weg – bitte!«, flüsterte Billa.
Marian ließ das Talmibro zuschnappen. Er verstand überhaupt nicht, was er da eben gesehen hatte. Wie es möglich war, dass es da drüben so ein Hexenweib gab, das Billa dermaßen ähnlich sah. Seine Hand zitterte heftig, als er das Talmibro wieder in seine Tasche schob.
»Sie ist in mir«, flüsterte Billa neben ihm. »Manchmal macht sie sich ganz klein, dann krieg ich kaum mit, dass sie da ist. Aber dann wieder ist sie so mächtig – verstehst du, Marian?« Sie kämpfte einen Schluchzanfall nieder, und zur gleichen Zeit redete sie weiter, stockend und so leise, dass sie kaum zu verstehen war. »An manchen Ta gen kann ich mich gar nicht richtig erinnern«, flüsterte Billa, »wie es ohne sie ist. Wie es mal war, wer ich eigentlich bin oder wie ich gelebt habe, ohne sie. Da mals, als Jakob noch bei mir war.«
Bei jedem Wort von ihr wurde Marians Gänsehaut noch ärger. »Verdammt, von wem redest du, Billa?«, gelang es ihm endlich zu fragen.
»Na, von diesem … diesem Biest«, flüsterte Billa.
Sie unterbrach sich und ein verwirrtes Lächeln er schien auf ihrem Gesicht. Im nächsten Moment wirkte sie vollkommen verwandelt. »Blödsinn«, sagte sie und grinste ihn an. »Ich wollte dich nur ein bisschen hochnehmen. Was weiß ich denn, was es mit dem ätzenden Weib da auf sich hat. Und wie du es geschafft hast, dass die Zicke da drin mir ähnlich sieht. Cooles Teil übrigens. Zeigst du’s mir noch mal? Kriegst du die Bilder online rein oder hat dieses Talmi-Dings einen Speicherchip?«
»Talmibro«, sagte Marian. »Und – tja, online ist wohl nicht ganz falsch.« Er schob sich in Richtung Bettkante und stand auf. Seine Gänsehaut wollte einfach nicht mehr verschwinden. Ihm war schlecht und seine Knie fühlten sich mindestens so weich wie Lehm an.
Billa tat ihm schrecklich leid, und er fühlte sich ihretwegen schuldig, obwohl er überhaupt nicht verstand, wieso. Aber stärker als alles andere war seine Angst. Er musste raus hier, weg von hier, auf der Stelle. Unmöglich konnte er ihr jetzt noch von Julian und all dem erzählen, was sich vor 333 Jahren abgespielt hatte. Oder was sich dort erst noch abspielen würde – es sein denn, sie fanden noch eine Möglichkeit, Meister Justus das Handwerk zu legen.
»Also, ich muss jetzt«, murmelte er und war schon aus der Tür.
Unmengen von Katzen liefen fauchend und maunzend hinter ihm her, als er im Dunkeln durch den Hof stolperte. Während er den Pfad entlangrannte, zwischen Wald und Moor zurück zur Stadt, glaubte er immer noch Billas Rufe, Billas Schreie zu hören: »Wohin gehst du denn? Mann, Marian, lass mich jetzt nicht allein!«
Heiliger Mist, dachte er , Billa ist besessen – von die sem Hexengeist. Darum benimmt sie sich so sonderbar, darum hat sie zwei vollkommen unterschiedliche Seiten, eine lieb und eine – na ja – irgendwie hexenhaft. Und darum konnte er auch auf gar keinen Fall über Nacht wieder hier bei Billa bleiben. Kein Auge würde er sonst zukriegen, aus Angst, dass der Hexengeist in ihr irgendwas Übles mit ihm oder mit ihnen beiden anstellen würde.
Das Biest, hatte Billa gesagt. Und es war alles andere als ein Joke gewesen, auch wenn sie im Nachhinein versucht hatte, es wie einen blöden Witz aussehen zu lassen.
Er stolperte über eine Baumwurzel. Fluchend blieb er stehen und schüttelte seinen schmerzenden Fuß.
Und eben deshalb, dachte er, hab ich auch dieses blöde Gefühl, als ob ich irgendwie mitschuldig wäre. Denn wenn mich das Talmibro zu Julian rüberschießt, ist er von mir ja genauso besessen wie die arme Billa von ihrem Hexenbiest.
43
Beim Frühstück am nächsten Morgen sah ihn Linda die ganze Zeit mit so einem seltsamen Gesichtsausdruck an – als ob sie schlechte Nachrichten für ihn hätte und sich fragte, wie viel sie ihm zumuten durfte.
»Was ist denn?«, knurrte er irgendwann.
Linda ging ihm auf die Nerven. Alles ging ihm heute auf die Nerven, angefangen bei ihm selbst.
»Na ja«, fing sie zögernd an, »die Wirtin hat uns, also Babsi und mir, gestern Abend was erzählt. Und darüber muss ich die ganze Zeit nachdenken.« Sie brach wieder ab und schaute ihn kummervoll an.
Letzte Nacht hatte er erst stundenlang wach gelegen und voller Panik wegen Billa rumgegrübelt. Danach hatte er sich durch Serien von Albträumen gequält. Irgendwas mit Dämonen, die aus seinem Talmibro hervorgeschos sen kamen, um die Kontrolle über ihn zu übernehmen. Jetzt
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