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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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über ihnen dieser schimmernde Wahnsinnshimmel mit der gigantischen Mondsichel. Kein Wunder, dass sie ins Träumen geraten war.
    »Schnell, Carmen«, flüsterte Pedro. »Wir müssen weiter. Die Zwillinge sind schon unten beim Boot.«
    Er lächelte auf sie herunter. Dieses winzige Schielen war einfach unwiderstehlich. Hatten sie sich vorhin wirklich geküsst? Hatte sie eben wirklich die Stelle gesehen, wo die anderen heiligen Dinge verbuddelt lagen? Herrje, dachte Carmen, was ist das denn überhaupt: Wirklichkeit?
    Sie rappelten sich auf und liefen durch den Grund des riesigen Trichters bis zum Rand des Cenote. Unten am Boot hatten die Zwillinge schon Fackeln angezündet. Diesen schwankenden Lichtern kletterten Carmen und Pedro entgegen. Das Wasser murmelte, die Flammen fauchten ganz leise, so als ob sie zu flüstern versuchten.
    Hinter Pedro stieg Carmen ins Boot.
    »Es ist schon spät«, sagte Kanaas, »wir müssen alle vier paddeln.
    Sonst schaffen wir es nicht mehr im Dunkeln.«
    »Und unterwegs erzählt ihr uns von Tzapalil?« Carmen sah abwechselnd Ixom und Kanaas an. Auf einmal wirkten die Jaguarzwillinge wieder hochmütig und abweisend. Wie Hüter eines Geheimnisses, das für Leute wie Pedro und Carmen viel zu kostbar war. »Bitte«, sagte sie. »Was ist denn dabei? Ich frag ja nicht aus Neugier.
    Aber Pedro und ich müssen doch wissen, was uns in dieser Stadt erwartet. Wie könnten wir denn sonst irgendwas tun, um seinen Vater und meine Mutter zu retten?«
    Kanaas reichte ihr ein Knochenpaddel. Seine schrägen Augen sahen sie lauernd an. »Ihr braucht gar nichts zu tun.« Er bückte sich abermals, nahm ein weiteres Paddel vom Boden des Bootes und drückte es Pedro in die Hand. »Nur die vier heiligen Sachen zurückgeben, wie der Canek es verlangt hat. Eine davon ist ja schon hier.«
    Erneut bückte sich der Jaguarjunge und richtete sich blitzschnell wieder auf. In der Hand hielt er plötzlich ein kleines schlammfarbenes Bündel, das anscheinend völlig durchnässt war. »Das haben wir eben unter der vorderen Bank entdeckt.« Kanaas zog das schmutzige Tuch weg und die Maske des Maisgottes funkelte im Licht des Mondes.

12
     
    Vorn saßen die Zwillinge, hinter ihnen Pedro. Wieder glitt ihr Boot unter der Erde dahin. Mit vier Paddeln kamen sie rasend schnell voran. Die Felswände jagten nur so vorbei.
    Carmen saß ganz hinten im Boot. Sie paddelte und paddelte und versuchte an alles Mögliche zu denken. Aber es half nichts oder nur sehr wenig: Tief in ihr wuchs die Angst. Eine erbärmliche, kalte, ekelhafte Angst.
    Kanaas hatte ihr die Maske nicht zurückgegeben, natürlich nicht.
    Sie hatte danach gegriffen und der Jaguarjunge hatte nur ganz kurz die Zähne gefletscht. Dann hatte er die Maske unter sein Gewand geschoben. Und Pedro hatte zu alledem geschwiegen.
    Eine Falle? Denk jetzt nicht dran, beschwor sich Carmen. Denk an was anderes, damit diese elende Angst nachlässt.
    Sie paddelte und paddelte und stellte sich vor, dass sie unter riesigen Wäldern und versteckten Maya-Dörfern dahinfuhren. Jaguare schlichen dort durchs Unterholz, rüsselnasige Tapire trampelten über Wiesen. Jäger lagen auf der Lauer, Speer oder Blasrohr in der Hand.
    Schon vorhin, als sie beim Cenote ausgestiegen waren, um oben in der alten Opferstätte zu rasten, hatte sie so ein komisches U-Bahn-Gefühl gehabt. Diese unterirdischen Flüsse, dachte Carmen, waren ja wirklich wie ein Netz von U-Bahnen, mit denen die Eingeweihten vor Jahrtausenden schon durchs ganze Land gefahren waren. Und die Cenotes waren wie Bahnhöfe, in denen man ausstieg, um in die Oberwelt zurückzukehren.
    Carmen paddelte und paddelte. Aber es half alles nichts – in ihrem Innern wuchs und wuchs die ekelhafte Angst. Eine Falle dachte sie wieder und wieder. Das alles ist doch eine einzige Falle und du bist wie eine Idiotin reingeplatscht! Das Wasser gurgelte und rauschte. Viel lauter rauschte ihr das Blut in den Ohren. Ihr Herz hämmerte. Ganz schlecht war ihr schon vor Aufregung. Vor elender Angst.
    Vielleicht auch von den seltsamen Pilzen. Aber schlimmer als alles andere war das Misstrauen, das sie plötzlich gegenüber Pedro spürte.
    Nur ein ganz kleines bisschen. Und sie nahm ihn ja auch immer gleich vor ihren Verdächtigungen in Schutz. So ein Blödsinn, sagte sich Carmen. Dass Pedro den Großvater und Yeeb-ek im Schlepptau hatte, als er in Flores bei uns eingestiegen ist – das bedeutet doch noch lange nicht, dass sie unter einer Decke stecken. Dass

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