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Goethe war’s nicht

Goethe war’s nicht

Titel: Goethe war’s nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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gemacht haben könnte. Ein Terminkalender, oder so.“
    Herr Fornet erhob sich. „Kommen Sie.“
    Wirklich überrascht war Herr Schweitzer nicht, als er sich in dem etwa zwanzig Quadratmeter großen Zimmer umsah. Tz, tz, tz, dass Kinder auch immer gegen ihre Eltern rebellieren müssen. Jedenfalls bildete die Einrichtung, die ganze Atmosphäre, die es ausstrahlte, ein veritables Kontrastprogramm zum Rest des Hauses. Die Wände waren schwarz gestrichen. Eine hypermoderne Musikanlage mit Boxen so groß wie Reisekoffer füllte locker ein Viertel des Zimmers aus. Etliche Poster von Reggae-Konzerten, darunter auch eins vom Chiemsee, hingen über dem Bett. Und auch das, was Herr Schweitzer suchte, fand er. Doch unter dem gestrigen Datum war nicht einmal die Party bei Linus eingetragen, geschweige denn etwas anderes. Er blätterte noch ein wenig herum, entdeckte jedoch nichts, was irgendwie weiterhalf.
    Er war schon dabei, das Zimmer zu verlassen, als ihm auf der Innenseite der Tür in schulmädchenhafter Schönschrift ein Text auf einem hellblauen DIN-A3-Blatt auffiel:
    Draußen ist ein grauer Tag
,
    ich bleib im Bett
,
    denn schau ich in den Bundestag:
    Gruselkabinett
.
    Lauter Fratzen, hässlich alle
,
    erzeugt nur Hass, so viel Gelalle
.
    Ein paar Bomben, noch mehr Terror!
    Doch die Nächsten kriechen schon hervor
.
    Weder Cholera noch Pest
,
    geben Herrschenden den Rest
.
    Wie die Ratten, allesamt
,
    verwüsten sie das Land
,
    bis kein Stein mehr auf dem andern steht
,
    die Welt sich wieder rückwärts dreht
.
    Wir Volk – nichts mehr zu fressen haben
,
    doch sie – sie sich im Luxus laben
.
    So macht sie tot, so schnell es geht
,
    die Welt sich wieder vorwärts dreht
.
    Und das Schlimmste kommt erst noch:
    Mit unsrer Stimme schufen wir das Joch
,
    denn gleich, wer an die Macht gelangt
,
    Korruption sich um sein Wesen rankt
.
    Da sage noch einer, die Jugend von heute sei an Politik nicht interessiert und könne nur über
facebook
und ähnlich debilen Internet-
Communities
kommunizieren, sinnierte Herr Schweitzer. Unter dem Gedicht stand in etwas kleinerer Schrift ein Name, womöglich der Verfasser: B.O. Harry. Benjamin-Otto? Bernd-Oliver? Balduin-Ortlieb? Balthasar-Oskar? Egal, ein Harry war ihm sowieso unbekannt. Herr Schweitzer schätzte, Gil und sein Vater dürften sich öfter mal in der Wolle gehabt haben. Ein aalglatter Banker und ein Reggae-Sohn – eine brisante Mischung. Wie wohl dessen Bruder geraten war?
    Punkt 14 Uhr klingelte es. Ein distinguierter Herr mittleren Alters mit Aluminiumkoffer in Begleitung eines kräftigen Mannes vom hauseigenen Wachdienst wurden von Fornet hereingebeten.
    „Bitte schön. Hier ist Ihr Geld. Wenn Sie bitte hier unterschreiben könnten.“ Er hielt ihm ein dezent rosafarbenes Blatt Papier hin.
    Fornet unterzeichnete. Dann geleitete er die Herren von der Teutonischen Staatsbank wieder aus dem Haus.
    „Was sagt die Zeit?“, erkundigte sich Herr Schweitzer eine Stunde später.
    Doch bevor er eine Antwort erhielt, klingelte es auf dem Festnetzanschluss. Alle waren wie elektrisiert. Die Spannung in der Luft war nahezu greifbar.
    Der Oberkommissar nickte Fornet aufmunternd zu und drückte die Aufnahmetaste.
    Mit zittriger Hand ergriff der Hausherr den schwarzen Bakelit-Hörer. „Kuno Fornet. Ja, ich höre.“ Er beugte sich so nahe wie möglich an das Mikro.
    „Haben Sie das Geld?“, fragte eine ganz offensichtlich technisch verzerrte Stimme. Es klang, als spräche ein Computer.
    „Ja.“
    „Alles?“
    „Ja.“
    „Dann gehen Sie zum Briefkasten. Sie hören dann von uns.“
    „Gilberto. Kann ich seine Stimme hören?“
    Ganz kurze Pause.
    „Vater! Mir geht’s gut. Aber ich habe Angst. Bitte lass …“
    Zack! Die Verbindung wurde unterbrochen. Schmidt-Schmitt drückte die Stopptaste.
    Wortlos stand ein bleichgesichtiger Banker auf und ging zielstrebig zum Briefkasten.
    Vierzig Sekunden später erschien er wieder auf der Bildfläche und legte einen kleinen hellbraunen Luftpolsterumschlag auf den Tisch. Unbeschriftet und leicht zerknittert.
    „Scheiße. Ich hätte schneller reagieren sollen“, fluchte Schmidt-Schmitt und hielt seine Hände wie einen Schirm über den Umschlag. „Den fasst mir jetzt keiner mehr an. Haben Sie Handschuhe? Aus Gummi eventuell, so Dinger zum Spülen.“
    „Äh, muss ich nachschauen.“
    Darauf hätte Herr Schweitzer gewettet. Der Typ hat wahrscheinlich sein Lebtag noch nie abgespült. Am liebsten hätte er jetzt eine Bemerkung dahingehend

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