Goethe war’s nicht
auf der mit Kreide die Weine der Woche angepriesen wurden.
Ohne viel nachzudenken, entschied er sich: „Ich nehm den Barolo.“
„Ach, klingt gut. Für mich auch, bitte“, schloss sich Maria an.
Das rechte Auge fast zugekniffen, mit dem linken die Neuankömmlinge im schwammigen Blick, hatte es den Anschein, Buddha Semmler war nahe dran an der Lösung seines kniffeligen und ihm alles abverlangenden Problems. An seinen sich bewegenden Lippen erkannte man, dass er einige Namen durchprobierte.
„Was meinst du“, sagte Maria, „ob Semmler noch drauf kommt?“
„Schwer einzuschätzen“, antwortete Herr Schweitzer. „So durch den Wind habe ich ihn lange nicht mehr erlebt.“
„Der ist doch schon seit gestern unterwegs“, tippte Maria. „Kann mir keiner erzählen, Semmler habe erst heute angefangen. Sonst weiß er doch immer, wer wir sind!“
„Oder vorgestern, hat er auch schon gebracht.“
Bertha kam mit zwei Römern mit Goldrand. Wie stets war großzügig eingeschenkt. „Du, Simon, sag e’mal, hab ich da rischdisch gehört, du tust grad mitten in nem heißen Entführungsfall stecke?“
Nun war Herr Schweitzer baff. Das gibt’s doch gar nicht, dachte er, nicht einmal die Presse hat Wind von dieser Sache bekommen. Er wusste zwar, dass Neuigkeiten in Sachsenhausen rasend schnell die Runde machten, aber außer ihnen beiden und Mischa konnte niemand etwas wissen. Zumindest keiner, der regelmäßig in diesem Mikrokosmos verkehrte. Anscheinend aber doch. Komisch. Dann erinnerte er sich an einen Lokalpolitiker, der vor einigen Jahren nichts ahnend in seiner Sachsenhäuser Stammkneipe vom Wirt mit den Worten begrüßt wurde: „Gude, Gernot. Hab gehört, die Schmiergelder sin heut uff deinem Konto eingegangen. Wie wär’s mit ner Lokalrunde? Mer halte auch dicht!“ Das Interessante daran war, besagter Gernot ist später tatsächlich wegen Bestechung verurteilt worden. Trotz Lokalrunde hat wohl einer nicht dichtgehalten, beziehungsweise dieser Jemand hat diese Neuigkeit einem Kumpel weitererzählt – natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Selbst besagter Kumpel mochte noch ein reines Gewissen haben, denn er hat diese interessante Neuigkeit der Schmiergeldzahlung einem weiteren Freund mit der Bitte „Du, aber halt ja die Klappe, das darf sonst keiner wissen“ gesteckt. Und so weiter und so fort, bis die Information über den korrupten Politiker die Ohren eines Lokaljournalisten erreicht hatte, der der Sache dann investigativ auf den Grund gegangen war. Der Lokalpolitiker, er war ja nicht gänzlich auf den Kopf gefallen, vermutete hinter dem Urheber dieser für ihn so fatalen Sachsenhäuser stillen Post folgerichtig einen Angestellten seiner Sachsenhäuser Bankfiliale, der wohl den Betreff der Überweisung ‚Beratertätigkeit‘ punktgenau mit Bestechungsgeld interpretiert hatte.
Herr Schweitzer jedenfalls war sich darüber im Klaren, dass Leugnen erstens zwecklos und zweitens dem Gerücht nur weitere Nahrung geben würde, also beugte er sich ganz nahe an Berthas Ohr und flüsterte mit vorgehaltener Hand: „Pst, Bertha, da hast du richtig gehört. Aber sag’s keinem weiter, gelle, der Fall ist nämlich noch nicht abgeschlossen.“
„Logo, Simon, oberste Geheimhaltung. Kennst mich doch“, gab Bertha ernst zurück und nickte beflissentlich mit dem Kopf.
Herrn Schweitzer war klar, von nun an würde das Gerücht wie ein Flächenbrand durch Sachsenhausen wüten. Spätestens morgen würde selbst der türkische Obsthändler auf dem Markt am Südbahnhof über die Entführung Bescheid wissen. Aber, so hoffte er, morgen ist der Fall sowieso abgeschlossen und würde die Titelseiten der Tagespresse schmücken, womit Bertha dann der Wind aus den Segeln genommen war.
Bertha ging, Buddha Semmler kam. „Maria, Simon, schön euch su sehn“, brabbelte er mit total irrem Blick. „Hab frei“, fügte er unnötigerweise hinzu.
War der Kelch doch nicht an ihnen vorübergegangen. Herr Schweitzer: „Semmler, altes Haus! Allein unterwegs?“
„Pah! Alles Fla… Fla… Flaschen! Gestdän warn noch de Funkal und de Sanchez dabei. Habisch abbä abgehängt, die Swei. Nix los mit denen.“ Dann sackte Semmlers Kopf auf Herrn Schweitzers Schulter. „Brauch’n Taxi, muss heim.“
„Bertha! Unser Freund braucht ein Taxi“, reagierte der Sachsenhäuser Detektiv blitzschnell, denn seine Lust, sich die nächste Stunde mit unnützem Gebabbel rumzuschlagen, hielt sich doch gar arg in Grenzen.
Zum Glück
Weitere Kostenlose Bücher