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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Sie?«
    »Nein, nein!« stöhnte, ohne das Gesicht zu befreien, der Fremde.
    »Die Kirchen wie Vereinshäuser. Die Zimmer kalt. Die Frauen ohne Reiz. Mit einem Wort . . .«
    Er setzte aus: das Mädchen, mit einem einzigen Schritt, war hinter den Sessel des Fremden getreten und hatte seine Hand auf die zitternde Schulter gelegt.
    »Mit einem Wort,« fuhr er, nur doppelt wollüstig im Bann fort, der sich über die Augen der vier Blinden geworfen hatte, :»ein Land, das der Herrgott im Zorn geschaffen hat. Aber« – und wie Liebkosung legte sich der Blick auf die Hand auf der bebenden Schulter – »der Geist eines einzigen Mannes hat genügt, um die barbarische Finsternis dieser Wildnis schöner zu erhellen als tausend sizilianische Sonnen! Ich habe den Mann nie gesehen; nur ein paar Schattenrisse von ihm wurden mir gezeigt. Er heißt Goethe.« Mit herausfordernder Stimme, wie an eine Eisentür pochend, rief er den Fremden an: »Sie müßten ihn wohl kennen?«
    Aber, obwohl ihm der Ruf durch die Hülle der Hände in das glühende Antlitz hinein fuhr und hinab in die kochende Grube des Herzens, schüttelte der Fremde nur noch verhüllter das Haupt.
    »Ein Bürgersohn ist er. Da glänzt kein Palast. Erscheint keine Fee. Rollt nicht das Blut erlauchter Ahnen. Denn da oben« – begeistert riß der Priester den Mantel von den Knieen und ließ ihn flattern – »steht der Geist auch hinter der Nadel des Schneiders! Hat, was auf zwei Beinen läuft, nur einen einzigen Drang: nach Mühsal im Geiste; Kampf mit dem Geiste! Wird er in Glas aufbewahrt etwa? In Seide getragen und mit Palmwedeln gefächelt?« Als ginge ihm der Atem aus in der ahnungslosen Enge dieses dumpfen Kreises, erhob er sich rauschend, ließ sich rauschend gleich wieder nieder. »Wie ein – Magistratskommissär in einer größeren Stadt etwa wird er behandelt! Obwohl er schon lange berühmt ist, wie kaum je einer vor ihm gewesen. Durch eine Indiskrete, der ich bis an mein Lebensende die Hände küssen will, ist mir ein Werk von ihm unter die Augen geraten . . . .«
    Lauernd wie ein Jäger, für eine Sekunde, unterbrach er zum zweitenmal; in die Erde hinein versunken, am liebsten, wäre der Fremde!
    »Was sein Volk war, vom Anfang an war, und was es werden kann bis in die letzte Stunde der Ewigkeit, werden sie sagen, daß darinnen steht, in dem Werke. Aber es steht nicht mehr und nicht minder darinnen, als: alles, was ein Mensch – jeder Mensch! – sein und werden kann! Von Adam bis zum Jüngsten Gerichte! Er aber hält es noch verborgen! Dichtet seit Jahren überhaupt fast nichts mehr! Sein Ruhm ist im Verblassen! Man spricht kaum mehr von ihm. Denn er hat Größeres zu tun. Sein fürstlicher Herr nämlich braucht ihn. Zu allem, wozu ein Hof und ein Herzogtum ein Genie mißbrauchen können, brauchen sie ihn! Es geht kein Gras in dem Lande auf, dem er nicht bei der Geburt helfen und das er nicht wieder höchstselber niedermähen muß! Busenfreund und Minister heißt er; das Mädchen für alles ist er! Und« – wie eine Rute fuhr der Blick nieder auf das immer verborgener verhüllte Haupt, das in den stählernen Fingern immer steinerner starr werden wollte – »er läßt es sich gefallen! Schurigelt und beglückt das Ländchen, als ob das ganz gemäß wäre, schon seit Jahren in Akten! Wacht mit Argusaugen darüber, daß die Jagdhunde seines Herrn zu fressen, die Hofdamen ihre Fußbäder und die Preußen genug Soldaten kriegen. Läßt sich von einer Stallmeisterin tyrannisieren . . .«
    »Sehen Sie denn nicht,« rief ihm, gefoltert von allen Foltern, die der Fremde erlitt, das Mädchen ins unbarmherzig grabende Auge, »daß Sie schweigen sollen?«
    Aber das Auge lächelte nur, ohne Gnade niederbrennend mit diesem Lächeln das Mädchen, den Vater, die Mutter und die zwei Krämer, die alle mit keinem Hauche von Ahnung witterten, welcher Flügel von Geheimnis über ihren Häuptern schwebte. »Und läßt sich den Ekel dieses Lakaienlebens bis in den Hals hinaufwachsen, – und schweigt! Und das ist groß von ihm. Aber noch größer: daß die, die an ihn glauben, das dulden! Er sehnt sich hinaus aus dem Joch; sie lassen ihn ruhig sich sehnen. Seine Seele, die der Schönheit, sein Geist, der der Welt gehört, schreien wie gefangene Löwen nach Erleben und Weite; seelenruhig lassen sie ihn toben. Und: erwarten ihn dennoch, wie ihr eigenes Heil! Alle! Und das ist Deutschland: wissen, daß der Geist nicht zugrunde geht, auch wenn er gegen Gitter brüllt;

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