Goethe
betrachtete, war es eine Feigheit – und Falschheit – ohnegleichen, ihr nicht zu sagen, daß er nach den »paar Wochen« nicht nach Hause zurückkehrte, sondern nach Italien fuhr! Daß er's allen anderen nicht verriet, gut! Aber ihr?
»Lotte!« sagte er heiser, während ihm das Herz in der Brust drin wie einem Verbrecher schlug; »es waren schöne Tage? Nicht?«
»Sag!« drängte er ängstlich, weil sie in plötzlicher, unbewußter Angst in die Weite blickte, »warst du nicht zufrieden?«
»Sehr!« Zuversichtlich kam ihr Blick zurück. Geborgen drückte sie seine Hand. »Sogar sehr! Ungetrübte Tage waren es!«
Erleichtert richtete er sich empor. Man muß die Sachen sehen, wie sie sind! Es war vollkommen richtig, ihr nichts zu sagen! Gewiß, so viel hatte er an sich schon erfahren: wo es darum ging, daß er sich entwickelte, mußten die anderen leiden. Aber sollte er verdorren? »Selten noch, siehst du«, begann er übereifrig, wie um den plötzlichen Mut noch zu erhöhen, »habe ich es so erkannt wie in diesen Tagen: wir sind – ja! lach' nur so süß!« – oh unseliges Dilemma! Er liebte sie und floh von ihr weg! – » . . . im wahren Sinne des Worts: unzertrennlich sind wir! Dein Wesen und meines, jetzt erst, überhaupt dann immer erst ganz besonders, wenn wir den Schauplatz Weimar los sind, kommt es zutage: in allen Fudamentalartikeln des Lebens durchaus eins sind sie. Oder hältst du es auch nur für möglich, daß sich der Augenblick ereignen könnte, in dem wir einander nicht mehr wechselseitig das Nächste, Verwandteste, einzig Ergänzende wären? Nicht wahr: nein? Elf lange Jahre gehen wir nun nebeneinander, so eng und verschwistert wie wohl nicht oft ein anderes Paar Menschen, und es hat, mein' ich, genau so viel Kampf und Widerstand und auch Trennendes zwischen uns gegeben, wie zwischen allen anderen, die lieben. Aber: über die Möglichkeit einer inneren Scheidung sind wir doch heute auf ewig und endgültig hinaus! Wenn ich mir, zum Beispiel, vorstelle,« – ja, es war so! es war so! In hartnäckigem Glauben daran riß er den Kopf hoch – »vorstelle: du verreistest, auf Jahre, weißgott wohin, und ich würde dich lange nicht wiedersehen. Ja! Entbehren, vermissen, rufen, herbeiflehen würde ich dich, wie . . . . .«
Gefoltert setzte er aus. Grenzenlos wird sie leiden!
» . . . . . wie die Luft zum atmen«, fuhr er trostlos fort, »den Stab des Tags, die Ruhe der Nacht! Aber: daß sich dabei der Grundinhalt unseres Verhältnisses verändern, verschieben, verlieren, verflüchtigen würde . . . ?«
»Und dennoch ist mir bang!«
»Wovor?« Totenbleich zuckte er zusammen. »Wovor ist dir bang?«
Aber erst nach einer langen, unentschlossenen Pause, in der er entsetzt sah, wie ihr die Angst an der Kehle faß, antwortete sie zögernd: »Du verbirgst mir etwas!«
»In all den drei Wochen, die wir nun zusammen waren«, setzte sie stockend fort, »bin ich den Eindruck nicht los geworden, daß du uns allen – nicht nur mir – etwas verbirgst!«
Als ob ihn der Schlag getroffen hätte, fiel ihm das Gesicht auf die Brust herab. Wußte er beim besten Willen nichts anderes zu tun, als mit dem Stock in die Luft zu schlagen und mit verdammt künstlichem Lächeln zu lächeln: »Aber, Kind!«
»Sage, daß ich mich täusche!«
Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Felsenfest stand es: dieses Schweigen wird sie mir niemals verzeihen! Wenn jemand auf der Welt, so darf sie sich ein Recht auf meine Geheimnisse anmaßen. »Ich bin, so töricht es sein mag«, stotterte er, ringend zwischen Zweifel und Zweifel, »ein abergläubischer Mensch. Es gibt Entschlüsse, die ich mir vornehme, in mir fasse, und die ich nur deshalb nicht verraten will – und kann, weil mich die Furcht plagt, die panische Furcht davor: daß sie dann nicht zur Tat werden!«
»Versteh' ich nicht!« Mit plötzlich ganz und gar fremd gewordenem Gesicht, die etwas scharfe Nase pikiert nach aufwärts gezogen, sah sie an ihm vorbei. »Ein Mensch wie du, und abergläubisch!« Und bevor er noch, mitten drin im wildesten Kampf, den er noch nicht entschieden hatte, einen Laut tat, zog sie den Arm aus dem seinigen und trat fest von ihm weg. »Also habe ich ja recht gehabt!«
Außer Rand und Band vor Ohnmacht stampfte er den Boden hinein. Nein! Jetzt sag' ich's ihr nicht. Gerade nicht! Eigens nicht! So sind sie ja alle, immer, wenn ihnen etwas nicht behagt! Schmollen und Reizen ist ihr ganzes Verstehen! »Ich kann eben genau so
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