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Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Titel: Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Köstering
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lächelte ebenso. Er hatte seine einschlägigen Erfahrungen.
Es tat mir leid für Benno, das hatte er eigentlich nicht verdient, aber warum machte
er auch solche diffusen Bemerkungen.
    »Wie ist das passiert?«, fragte
er.
    »Bin in der Dusche ausgerutscht.«
    »Ah ja, das ist mir auch schon passiert.
Melden Sie sich nächste Woche. Sind Sie in Frankfurt?«
    »Ja, Montag und Dienstag, ich fahre
mit dem Zug.«
    »Gut so. Ich muss jetzt los, gute
Besserung. Ach, übrigens, für Donnerstag, 11 Uhr, habe ich eine wichtige Sitzung
einberufen, im Konferenzsaal des Studienzentrums, ich brauche Sie da.«
    »Geht klar!«
    »Und, Wilmut …«
    Ich sah ihn fragend an.
    »… seien Sie bitte pünktlich!«
     
    *
     
    Über ihm im ersten Stock wohnte Jürgen. Ab und zu tranken sie zusammen
eine Flasche Bier. Oder auch mehrere. Manchmal auch eine Flasche Aro. Oder mehrere.
Früher oder später kamen sie immer auf ihre beiden Lieblingsthemen zu sprechen:
Sport und Politik. Heute ging es um einen Fernsehbeitrag zu den Toten an der ehemaligen
innerdeutschen Grenze. So viele seien das ja gar nicht gewesen, sagte Jürgen. Na,
immerhin 136 Tote allein an der Berliner Mauer, entgegnete der hagere Mann. Na gut,
sagte Jürgen. Und an der restlichen Grenze etwa 2.000, fuhr der Mann fort. Na gut,
sagte Jürgen. Und in den Stasi-Gefängnissen, wie viele waren es da? Ach, die Stasi,
sagte Jürgen, mit denen habe er nichts zu tun gehabt. Aber andere, die hatten mit
der Stasi zu tun, oder? Ach, die anderen, sagte Jürgen, immer gehe es um das Leben
der anderen, die interessierten ihn nicht, ihm sei es damals jedenfalls besser gegangen.
Was denn mit besser genau gemeint sei?, fragte der hagere Mann. Na gut, sagte
Jürgen, insgesamt eben, alles sei einfacher gewesen, bequemer, er habe sich damals
wohler gefühlt. Aha, er habe sich also in einer Diktatur wohler gefühlt als jetzt
in der Demokratie, oder wie? Na gut, sagte Jürgen, Diktatur, das sei vielleicht
etwas zu hart ausgedrückt. Immerhin gab es keine freien Wahlen, stimmt doch, oder?
Na gut, meinte Jürgen, schon, aber das habe ihn nie gestört, er sei einfach hingegangen
und habe sein Kreuz gemacht, musste nicht viel überlegen und hatte seine Ruhe. Wie
schön, Hauptsache, man hat seine Ruhe, sagte der hagere Mann. Eben, meinte Jürgen.
     
    *
     
    Langsamer als sonst war ich von der Bibliothek bis zu meiner Wohnung
am Rollplatz gegangen, nach dem Gefängnis- und Krankenhausaufenthalt war ich noch
nicht wieder voll bei Kräften. Zudem ging es sich nicht wirklich gut mit einem Gipsarm.
Am schwersten fiel mir das Treppensteigen hinauf in den dritten Stock zu meiner
Wohnung. Als ich den mächtigen Riegel meiner Wohnungstür geschlossen hatte, stieg
ich über den Karton der ECM-4, schaltete den Fernseher ein und setzte mich auf die
Couch. Nach meiner langen Abwesenheit war es schön, nach Hause zu kommen, auch wenn
ich allein war. Während ich durch die Programme zappte, auf der Suche nach der Sportschau,
kamen mir Onkel Leos Aufgaben wieder in den Sinn. Mich mit Sophie zu versöhnen,
das würde nicht einfach werden, aber es lag im Bereich des Möglichen, schließlich
ging es um nichts Persönliches, sondern nur um Politik. Doch die Versöhnung
mit Hanna … Ich merkte noch, wie meine Augenlider schwer wurden und mir die Fernbedienung
langsam aus der Hand rutschte.
     
    Als ich wieder erwachte, liefen bereits die Nachrichten. Die Sportschau
hatte ich verschlafen. Mühsam raffte ich mich auf. Mein linker Arm tat höllisch
weh, wahrscheinlich hatte ich ihn beim Schlafen irgendwie eingeklemmt. Ich bastelte
mir eine Armschlinge aus einem breiten Winterschal, das half. Eine Weile lief ich
rastlos in meiner Wohnung herum, ins Schlafzimmer, von dort ins Arbeitszimmer, dann
in die Küche und zurück ins Wohnzimmer, öffnete die Balkontür, um frische Luft hereinzulassen,
ging erneut in die Küche, trank Wasser, stellte fest, dass mein Vorrat an Tütensuppen
stark dezimiert war, öffnete den Kühlschrank, merkte jedoch, dass ich gar keinen
Hunger hatte – der Grund war klar: Rostbratwurst und Kartoffelsalat. Ich schloss
die Kühlschranktür, merkte, dass mir trotzdem etwas fehlte, öffnete sie erneut,
sah in der Tür eine Flasche Aro stehen – nein, keinen Alkohol, das würde mich sofort
umhauen, also drückte ich die Tür endgültig zu.
    Es klingelte. Wer konnte das sein?
Auf dem Weg zur Wohnungstür stolperte ich über den ECM-Karton. Da ich den linken
Arm in der Schlinge hatte, konnte ich kaum das

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