Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)
den Ort wiederzufinden, angesichts der ungeheuren Weite und des Fehlens jeglichen Orientierungspunktes geriet seine Zuversicht jedoch bald ins Wanken.
Die Region seiner eigenen Schöpfungen hatte er längst hinter sich gelassen. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass die aus der Erinnerung heraus eingeschlagene Richtung korrekt war und das Ziel irgendwann aus dem allgegenwärtigen Grau auftauchte. Er würde die Mauern wiedererkennen, hinter denen sich das Labyrinth verbarg, natürlich, aber dazu musste er zunächst wenigstens in die Nähe des Ortes kommen. Vielleicht bedurfte er ja doch ihrer Hilfe, um dorthin zurückzufinden, obwohl er fest daran geglaubt hatte, es aus eigener Kraft zu schaffen. Offenbar hatte er sich überschätzt …
Der Dichter war schon fast entschlossen, die Suche abzubrechen, als er etwas hörte: ein fernes rhythmisches Geräusch wie von einer Maschine und dazwischen Fetzen von Musik. Für einen Moment glaubte er an eine Halluzination, eine Scharade seiner überforderten Sinne, aber als das Dröhnen lauter wurde und die Töne sich zu einer Melodie reihten, war kein Zweifel mehr möglich. Irgendwo da vorn erklang Wagners »Ritt der Walküren«!
Der Dichter war kein Opernliebhaber, da ihm die Dominanz der Musik über das Wort von jeher suspekt war. Aber dieses berühmte, von Hörnerklang getragene Orchesterstück kannte er natürlich, stand es doch für alles, was Wagners Musik zu etwas Besonderem machte: Pathos und eine beinahe überwältigende Klangfülle – ein rauschendes Fest für die Sinne.
Doch an diesem Ort und untermalt von dumpfem, amelodischem Maschinenlärm klang die Musik eher Unheil verkündend. Etwas bewegte sich mit unwiderstehlicher Macht auf ihn zu, und der »Walkürenritt« war seine Marschmusik oder vielleicht sogar schon das Signal zum Angriff.
Das Dröhnen erinnerte an Motorengeräusch, ließ sich aber keiner bestimmten Richtung zuordnen. Offenbar speiste es sich aus mehreren Quellen – Maschinen oder Fahrzeugen, die auf breiter Front vorrückten.
Auf breiter und hoher Front, wie der Dichter mit zunehmender Verwunderung registrierte, denn Musik und Motorenlärm schienen ihren Ursprung nicht am Boden zu haben. Es klang vielmehr, als ritten die Walküren tatsächlich mit klingendem Spiel und dröhnendem Hufschlag über die grauen Wolkenfelder – ein Eindruck, der sich im nächsten Moment auf unerwartete Weise bestätigte. Nur waren es keine Reiterinnen, die mit ihren Rossen aus dem allgegenwärtigen Grau hervorbrachen, sondern riesige, schwarze Libellen!
Allerdings handelte es sich dabei nicht etwa um ins Extreme vergrößerte natürliche Geschöpfe, sondern – wie der Dichter bald erkannte – um Flugmaschinen, deren stählerne Flügel das infernalische Dröhnen verursachten. Woher die überlaute Musik kam, die den stählernen Libellenschwarm begleitete, blieb jedoch rätselhaft.
Der Anblick der fliegenden Armada war ebenso bizarr wie Furcht einflößend, und der Dichter musste sich gegen einen irrationalen Fluchtreflex stemmen, um die Szene weiter zu beobachten. Aus der Nähe betrachtet wiesen die Flugobjekte kaum noch Ähnlichkeiten mit Libellen auf, denn ihre Körper erschienen plump und ihren Bewegungen fehlte jegliche Eleganz. Dass sie sich trotz ihres zweifellos enormen Gewichts überhaupt in der Luft halten konnten, schien den Naturgesetzen hohnzusprechen, doch sie hielten ihre Höhe nicht nur, sondern jagten mit halsbrecherischer Geschwindigkeit weiter vorwärts, ihrem unbekannten Ziel entgegen.
Der Dichter war nicht im Krieg gewesen, und so war ihm die persönliche Begegnung mit den Tötungsmaschinen seiner Zeit erspart geblieben. Dennoch spürte er instinktiv, dass es sich bei den stählernen Kolossen um eine Art Waffe handelte – eine zerstörerische Waffe, die sich mit der Wut eines Hornissenschwarms auf ihren Gegner stürzen würde …
Die Flugschiffe! , dachte er erschrocken. Sie wollen sie zerstören.
Anscheinend war er nicht der Einzige gewesen, der ihre Landung beobachtet hatte, und offenbar war der martialische Aufmarsch die Reaktion darauf. Das würde auch den Kurs der stählernen Armada erklären, die – wenn er sich nicht schwer täuschte – in direkter Linie auf sein Dorf und den Landeplatz zuhielt.
Der Dichter wusste nicht, in wessen Auftrag die Streitmacht unterwegs war, aber er hatte eine Vermutung. Noch waren die Elemente des Puzzles nicht vollzählig, das Bild jedoch, das sich aus den vorhandenen abzeichnete, war beunruhigend
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