Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
genießt Schutz von ganz oben, anders hätte er nicht so lange überleben können. Da der Hohepriester unter Hausarrest steht, kann er nicht mehr selbst tätig werden. Aber Euch, seinem Freund, hat er sich gewiss anvertraut.«
»Da irrt Ihr Euch, Richter Gem.«
»Ich fordere Euch hiermit auf, meine Fragen zu beantworten. Denn ich habe wenig Lust, einen Minister anzuklagen und zu zwingen, vor dem Hohen Gericht zu erscheinen. Wenn nötig, würde ich davor allerdings nicht zurückschrecken.«
Diese Warnung nahm Pef nicht auf die leichte Schulter. Gem war wie ein Jagdhund, der seine Beute nicht mehr loslässt, wenn er sie erst mal in den Fängen hat.
»Möglicherweise hat Wahibra an Kels Unschuld geglaubt«, sagte der Schatzmeister. »Ihm war eine Art Verschwörung zu Ohren gekommen, angestiftet von den Griechen in Naukratis, die angeblich Sklaverei und Geld in Ägypten einführen wollten. Das käme einer grundlegenden Veränderung unserer Gesellschaft gleich und müsste unser Land in den Untergang führen, weil es das Gesetz der Maat aufheben würde. Ich kann in dieser Sache aber wenig unternehmen, da dieser griechische Fall dem Pharao vorbehalten ist.«
»Wollt Ihr damit etwa sagen, dass Seine Majestät unfähig und untätig ist?«
»Durchaus nicht, Richter Gem. Er besitzt das Vermächtnis der Götter und sorgt dafür, dass Maat auf unserer Erde ist – also wird er immer das Beste tun.«
»Helft Ihr dem Mörder dabei, uns zu entkommen?«
»Diese Frage betrachte ich als eine grobe Beleidigung. Würde ich nicht Euer Amt achten, hättet Ihr jetzt meine Faust im Gesicht.«
»Ich war gezwungen, Euch diese Frage zu stellen, Pef. Wir jagen eine reißende Bestie, fähig, schreckliche Verbrechen zu begehen, und entschlossen, als Anführer einer Bande von Aufständischen den Pharao zu entthronen. Sie sind nicht einmal davor zurückgeschreckt, den Apis-Stier zu töten, um den königlichen Ka zu schwächen und Unruhe unter der ägyptischen Bevölkerung zu stiften.«
Pef war entsetzt. »Hat man denn schon den neuen Apis gefunden?«
»Er wird streng bewacht und trifft wohl bald in Memphis ein. Das müsste den Thron des Pharaos eigentlich wieder stärken.«
»Den Göttern sei Dank!«
»Hat der Hohepriester noch andere enge Freunde?«, wollte der Richter wissen.
»Ich glaube nicht. Wahibra ist ein Einzelgänger, der wenig Vertrauen in die menschliche Art hat.«
»Trotzdem unterstützt er das Weiterkommen der Priesterin Nitis, seiner wichtigsten Mitarbeiterin.«
»Wahibra würdigt nur ihre Fähigkeiten.«
»Könnte er ihr befohlen haben, den Mörder zu verstecken?«
»Unvorstellbar! Wie kommt Ihr nur auf den Gedanken, ein Hohepriester der Neith könnte Gewalt und Verbrechen gutheißen?«
»Ihr wisst also nichts über Kel und seine Handlanger?«
»Nein, nichts.«
»Dann wünsche ich Euch einen guten Tag, Pef. Sollte Euch noch etwas Wichtiges einfallen, lasst es mich sofort wissen.«
»Ich gebe Euch mein Wort.«
Dann erstattete Richter Gem dem Siegelbewahrer und Henat Bericht über die mageren Ergebnisse seiner Befragung.
Eine Sache war ihm nicht geheuer: Pefs ziemlich abschätzige Wertung der Haltung des Königs den Griechen gegenüber. Der Schatzmeister war von der Entwicklung in Naukratis und den Vorhaben seiner Einwohner nicht angetan. Begnügte er sich damit, Amasis zu missbilligen, oder wollte er vielleicht als Anführer einer aufrührerischen Gruppe selbst dagegen tätig werden?
Und war diese Bande womöglich gewaltbereit und sicherte sich dazu die Dienste von Volksverhetzern wie dem Schreiber Kel?
Ein gefälliger Hohepriester, ein Minister, der seinem König feindlich gesonnen ist, ein Schreiber, der die niederen Arbeiten erledigt … Allmählich nahm die Vermutung Gestalt an.
Doch wenn die Verschwörung tatsächlich so geplant war, blieb die vollständige Auslöschung des Übersetzeramts noch immer ein Rätsel.
Außer die Schreiber hätten Wind von Kels Plänen bekommen und sich geweigert, bei einem Umsturzversuch mitzumachen. Alle Schreiber, einschließlich ihr Vorgesetzter? Das war äußerst unwahrscheinlich.
Der Richter durfte keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Jetzt konnte er eigentlich nur den Schatzmeister überwachen lassen. Keine einfache Aufgabe, weil der nach diesem Verhör bestimmt argwöhnisch war. Die Ordnungskräfte konnte Gem damit nicht beauftragen. Wie hätte er seine Beweggründe in einem Schreiben ausdrücken sollen, das der Schatzmeister gewiss zu sehen bekam? Pef würde mit
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