Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
weiter.«
»Das bezweifle ich nicht, Nitis. Aber Wahibra hat auch Stellungen bezogen, die …«
»Ist es nicht so, dass Ihr Neiths Reich von oben bis unten habt durchsuchen lassen – selbst auf die Gefahr hin, die Göttin zu verstimmen und den Frieden des Heiligtums zu stören? Hartnäckig einen alten, kranken Hohepriester zu verdächtigen, bringt Euch keinen Schritt weiter und schadet nur dem hohen Ansehen der Gerichtsbarkeit.«
»Ihr seid seine rechte Hand, Nitis. Hat er Euch befohlen, den Schreiber Kel zu schützen und Verbündete für ihn zu suchen?«
Sie wich seinem Blick nicht aus. »In keiner Weise. Außerdem muss ich Euch darauf hinweisen, dass ich vor Kurzem in Memphis war und dort an den Totenfeiern für den Apis-Stier teilgenommen habe. Das können zahlreiche Zeugen bestätigen. Heute muss ich einige Aufgaben des Hohepriesters übernehmen, wobei ich hoffe, dass er bald wiederhergestellt ist.«
»Würdet Ihr es dem Gericht mitteilen, wenn Ihr wichtige Hinweise in dieser Angelegenheit hättet?«
»Ich würde nicht einen Augenblick zögern.«
Das Selbstvertrauen der jungen Frau ernüchterte Richter Gem. Auch wenn er sie stundenlang verhören ließe, würde er nichts von ihr erfahren. Außerdem hatte er nichts gegen sie in der Hand. Vielleicht hatte Menk ja bei seinen Beobachtung etwas herausgefunden.
Warum nur sollte diese wunderbare Frau einem gefährlichen Mörder Beistand leisten, der von allen Ordnungshütern des Königreichs gejagt wurde?
72
N icht ein Richter fehlte, als sich das Oberste Gericht zum Tempeleingang begab. Hier wurden seit alters her die Beschwerden der Kläger vorgelesen, um Recht von Ungerechtigkeit zu trennen und die Schwachen vor der Überlegenheit der Starken zu schützen. Hier bestimmte Maats Wahrheit, Lügen waren ausgeschlossen.
Eine kleine Herde Esel trug die Lederrollen mit den Gesetzen, die Stühle für die Richter und die Wasserkrüge.
Als alle ihre Plätze eingenommen hatten, hängte Richter Gem eine kleine Figur der Göttin Maat an die goldene Kette, die er um den Hals trug.
Vor ihm lagen die zweiundvierzig Lederrollen mit den Gesetzesschriften, nach denen in den zweiundvierzig ägyptischen Provinzen Recht gesprochen wurde.
Kel hatte sich unter die Menschenmenge gemischt, die sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollte, und war zutiefst enttäuscht. Pharao Amasis beehrte diese Ausrufung der allmächtigen Gerechtigkeit, die in den Augen der Bevölkerung so wichtig war, nicht mit seiner Gegenwart.
Dann war sein Vorhaben also gescheitert. Er musste nach einer anderen Gelegenheit suchen, um den Helm seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben zu können.
Der Schreiber wollte gerade gehen, als die Leute zu murmeln begannen.
»Da ist der Pharao«, rief einer, »Amasis kommt!«
Umringt von den Soldaten seiner Leibwache bewies der Herrscher, dass ihm der neue Apis Kraft und Stärke verliehen hatte. Er war schlicht gekleidet und trug den Lendenschurz der Pharaonen des Alten Reichs sowie die blaue Krone, die seine Gedanken mit den himmlischen Mächten verband.
Er nahm auf einem bescheidenen Thron aus vergoldetem Holz Platz, der etwas abseits von der Runde der Richter stand. Der Pharao sollte ihre Beratung nicht behindern und ihre Entscheidungen nicht beeinflussen. Offensichtlich bestand er nicht einmal darauf, eine Eröffnungsrede zu halten.
Die Zuschauer waren beruhigt.
Der Pharao herrschte, und man ließ Gerechtigkeit walten – die Grundfeste von Wohlstand und Glück.
»Im Namen von Maat und dem König erkläre ich diese Zusammenkunft des Gerichts der Dreißig für eröffnet«, sagte Richter Gem mit lauter Stimme. »Beginnen wir mit der ersten Klage.«
Es handelte sich um einen eindeutigen Fall von Grenzverrücken. Ein Bauer hatte zu Recht behauptet, sein Land sei nicht so groß wie angenommen, weshalb er auch weniger Steuern zahlen müsse. Das Steueramt hatte ihn nicht anhören wollen und verlangte die geforderten Abgaben, einschließlich einer Strafe wegen verspäteter Zahlung.
Einstimmig gaben die Dreißig der Verwaltung die Schuld, die einen Landvermesser hätte hinzuziehen und den Grundbucheintrag hätte prüfen müssen. Obwohl dem Pharao sehr an seinem neuen Steuerrecht gelegen war, verweigerten die Richter diese Willkür. Und der grausame Steuerprüfer wurde dazu verurteilt, den Kläger selbst zu entschädigen.
Anschließend verlas Richter Gem die widersprüchlichen Briefe eines Handwerkers und dessen ehemaliger Frau, die sich gerade
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