Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
göttlichen Auges zusammensetzte, um die himmlische Erscheinung neu zu erschaffen, trugen die Worte der Göttin die goldene Waage des Gerichts. So befreite sie das Wort vom Tod und schenkte Leben, Zusammenhalt und gutes Gedeihen. Und diese sieben Worte schlugen den Meineidigen und den Feinden des Lichts den Kopf ab.
Der Priesterin schoss ein neuer Gedanke durch den Kopf: Vielleicht war das Gesetz der sieben der Schlüssel für die Schrift, die der Verfasser des unlesbaren Papyrus verwendet hatte? Vielleicht musste man die erste Hieroglyphe, dann die siebte, dann die vierzehnte Hieroglyphe und so weiter lesen, damit man den Sinn erfasste!
Was bedeuten würde, dass der Verfasser oder die Verfasserin in die Mysterien der Neith eingeweiht sein musste.
Voller Angst prüfte Nitis daraufhin noch einmal das Schreiben.
Nein, das war es nicht. Zum Glück.
Ein Schreiber aus dem Haus des Lebens wagte es, sie bei der Arbeit zu stören.
»Kommt schnell, Nitis! Richter Gem steht mit einer Hundertschaft vor dem Tempel und verlangt Einlass.«
Nitis eilte zum Eingang, wo sie auf den zornigen Richter traf.
»Was ist hier los?«, fragte sie ihn.
»Das wisst Ihr nicht?«
»Nein.«
»Der Schreiber Kel hat soeben Macht und Gericht herausgefordert. Leider konnte er fliehen, aber ich habe guten Grund anzunehmen, dass er sich hier verborgen hält.«
»Da täuscht Ihr Euch.«
»Davon möchte ich mich selbst überzeugen. Zwei Orte will ich vor allem sehen: nämlich Eure Wohnung und die des Hohepriesters Wahibra.«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage. Der Hohepriester ist schwer krank und darf nicht gestört werden.«
»Das Gesetz verlangt es aber. Fangen wir mit Eurer Wohnung an, während meine Leute die Unterkünfte der Priester und Priesterinnen umstellen. Auch sie werden alle durchsucht.«
An Nitis' ängstlicher Miene erkannte Richter Gem, dass er sich nicht getäuscht hatte. Der Schreiber war ihm von allein in die Falle gegangen.
Zehn Ordnungshüter verschafften sich Zutritt zu den Räumen der Oberpriesterin. Aus Angst vor dem Verteidigungswillen des Flüchtigen wollten sie gegebenenfalls sofort zuschlagen.
»Hier ist niemand«, meldeten sie.
»Dann durchsuchen wir jetzt das Haus des Hohepriesters«, befahl Gem.
»Das lasse ich nicht zu«, wiederholte Nitis.
»Geht aus dem Weg, sonst lasse ich Euch wegen Behinderung meiner Untersuchung festnehmen.«
Zwei Beamte nahmen die schöne Frau in die Mitte.
Ein Trupp öffnete gewaltsam die Tür zu Wahibras Haus, der noch immer krank im Bett lag.
»Was sucht Ihr hier?«, fragte der Hohepriester den Richter.
»Den Mörder Kel. Liefert ihn uns aus, dann lassen wir mildernde Umstände gelten.«
»Ihr habt wohl den Verstand verloren.«
»Vorwärts, an die Arbeit!«
Es gab nichts, was den Blicken der Männer verborgen blieb, selbst die kleinste Truhe wurde ausgeleert.
Beschämt musste der Richter seine Niederlage eingestehen.
»Ich bitte Euch um Entschuldigung«, sagte er zu dem Kranken, »bitte bedenkt, wie schwierig meine Arbeit ist.«
Aber der Hohepriester würdigte ihn keiner Antwort, drehte den Kopf zur Wand und schloss die Augen.
Vor dem Haus stand Nitis noch immer zwischen den beiden Polizisten, ohne sich vom Fleck zu rühren.
»Lasst sie los!«, befahl Gem und wich dem Blick der Priesterin aus.
74
I n die königlichen Lager konnten sie auf keinen Fall zurück.
Und es war auch ausgeschlossen, Nitis um Unterschlupf im Tempel der Neith zu bitten. Kel war überzeugt, dass Richter Gem noch einmal alles durchsuchen lassen würde – insbesondere die Wohnungen von Wahibra und Nitis.
»Bestimmt überwachen sie einige Tage lang die Stadttore von Sais«, meinte Bebon, »und so lange werden sie sogar verdächtige Händler verhaften. Außerdem stehen Soldaten am Fluss und an den Ausfallwegen Wache. Auch wenn du dir den Bart abrasieren lässt, bist du nicht vor ihnen sicher. Also müssen wir uns irgendwo mitten in der Stadt verstecken, mit Nitis Verbindung aufnehmen und warten, bis sich das Gewitter verzogen hat.«
»Hast du denn noch einen Freund, bei dem wir sicher wären?«
»Ich glaube schon, aber das ist nicht ganz ungefährlich.«
»Mit anderen Worten, er könnte uns verraten.«
»Nein, ich finde, das passt nicht zu ihm.«
»Aber du bist dir nicht sicher.«
»Wir arbeiten schon seit einigen Jahren zusammen und verstehen uns sehr gut. Er könnte sich aber überrumpelt fühlen, wenn ich ihm einen flüchtigen Verbrecher ins Haus bringe. Und dein Auftritt vor dem
Weitere Kostenlose Bücher