Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
vor allem darum, den Mörder zu bestrafen und das Übersetzeramt wieder aufzubauen – habe ich recht?«
17
Z wei Tage und zwei Nächte waren vergangen, ohne dass Nitis zurückgekommen wäre.
Da Kel die Möglichkeit ausschloss, die sanfte und aufmerksame junge Frau könnte ihn verraten haben, musste er den Tatsachen ins Auge sehen: Man hatte sie auf Befehl des Oberpriesters verhaftet.
Mutig wie Nitis war, würde sie ihn aber auf keinen Fall anzeigen. Außerdem wären sonst auch schon die Ordnungshüter aufgetaucht.
Kel bewunderte sie rückhaltlos und machte sich schlimme Vorwürfe, dass er die Priesterin in dieses verheerende Abenteuer verwickelt und damit ihre Laufbahn zerstört hatte. Und wegen ihm widerfuhr wahrscheinlich auch seinem Freund Bebon das gleiche Schicksal. War er geschlagen und gefoltert worden? Hatte er überlebt?
Und welchen Qualen setzte man wohl Nitis aus?
Er musste dieses Haus verlassen und ihr auf der Stelle zu Hilfe eilen.
Aber wie sollte er sie befreien, wenn nicht indem er sich den Wachtruppen stellte und behauptete, Nitis hätte nichts mit ihm zu tun? Aber sie hatte ihm schließlich Unterschlupf gewährt! Wenn sie das beide hartnäckig leugnen würden, ließ der Richter vielleicht Nachsicht walten.
Der Richter … War er auf der Suche nach der Wahrheit, oder musste er handeln, wie ihm andere befahlen?
Die Tür ging auf.
Die Ordnungshüter – oder die Mörder?
Es gab keine Fluchtmöglichkeit.
Kel bewaffnete sich mit einem Hocker und wollte kämpfen.
Doch dann tauchte Nitis in der Tür auf und strahlte ihn an.
»Ich bin allein, beruhigt Euch. Der Oberpriester Wahibra wünscht, Euch zu sehen. Diese Unterredung wird entscheidend sein.«
»Warum wart Ihr so lange weg?«
»Ich wurde zur obersten Sängerin und Weberin ernannt und musste meine vielfältigen neuen Aufgaben erfüllen. Und ich hatte gehofft, Ihr würdet ruhig Blut bewahren, bis der Hohepriester im Palast Eure Aussagen überprüft hat.«
»Ihr dürft mir nicht mehr helfen, Nitis. Das wäre sehr unvernünftig. Setzt Euch wegen mir keiner weiteren Gefahr aus!«
»Beeilt Euch, Wahibra erwartet uns. Im Palast wird man nicht nach Euch suchen.«
Ehrfürchtig betrat Kel das gewaltige Reich der Göttin Neith. Nitis führte ihn zu einer Kapelle im Norden, vor der eine Akazie stand, unter die sich der Oberpriester gesetzt hatte.
Seine ernsthafte Art beeindruckte den jungen Mann. Würde er den mürrischen Alten überzeugen können?
»Was bedeuten dir die Hieroglyphen?«, fragte ihn der Priester geradeheraus.
»Ich trenne sie streng von der weltlichen Schrift, die für den Alltagsgebrauch bestimmt ist. Die Hieroglyphen sind die Worte der Götter und den Tempeln vorbehalten. Sie bergen die Geheimnisse und die Formen der Schöpfung, in der sich der wahrhafte Gedanke verkörpert – jenseits aller menschlichen Grenzen. Sie bilden eine heilige Sprache, sie sind der Grundstock unserer Gesellschaft, und bis vor Kurzem, als ich noch nicht in dieses Unglück verwickelt war, hatte ich gehofft, einen kleinen Teil ihrer Geheimnisse kennenzulernen.«
»Richter Gem, der mit der Untersuchung beauftragt ist, verfügt angeblich über erdrückende Beweise für deine Schuld. Behauptest du noch immer, kein Mörder zu sein?«
»Im Namen des Pharaos, ich bleibe dabei, dass ich vollkommen unschuldig bin.«
»Ein falscher Schwur zerstört deine Seele.«
»Das ist mir bewusst. Aber ich bleibe bei meiner Erklärung. Das ist die einzige Freiheit, die mir bleibt.«
»Du beharrst also trotz der Beweise auf deiner Unschuld?«
»Sie müssen gefälscht sein! Ich habe keinen Menschen getötet, man hat mich als Zielscheibe ausgesucht, weil ich jetzt nicht in der Lage bin, mich zu verteidigen.«
»Beschuldigst du deinen Freund Demos?«
»Nein, aber ich verstehe nicht, warum er verschwunden ist, und ich möchte ihn endlich wiedersehen, damit er es mir erklären kann.«
»Du hast beim Namen des Pharaos geschworen. Wie siehst du die Rangfolge der Macht?«
»Ganz oben befindet sich das schöpferische Urgesetz, Eins in Zwei, zugleich männlich und weiblich. Danach kommen die Gottheiten, die Urheber des Lebens und von Maats Ordnung, die der Pharao hier unten bei uns ausführen muss, indem er Tempel erbaut, die Rituale feiert und Gerechtigkeit walten lässt. Werden diese Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllt, versinkt das Land im Chaos. Als Besitzer des göttlichen Vermächtnisses und als Diener der Schöpferkraft wehrt der Pharao die Mächte der
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