Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
geschehen?«
»Die Übersetzer wurden ermordet – und er mit ihnen«, sagte der hohe Beamte leise. »Es lohnt nicht, über diese schreckliche Geschichte zu reden. Die Wachen werden den Mörder fassen, und dann wächst Gras über die Sache. Trotzdem hätte man auf ihn hören müssen!«
»Hat er Unregelmäßigkeiten in der Führung des Amts bemerkt?«
»Nein, das bestimmt nicht. Der Amtsvorsteher war einer der strengsten Vorgesetzten, den man sich denken kann. Bei ihm war es völlig zwecklos, um eine Sondererlaubnis oder unverdiente Bevorzugung zu bitten. Aber mein Freund hatte ihm ein Schriftstück zugeleitet, in dem es um mögliche Veruntreuungen in der griechischen Stadt Naukratis ging. Da unten herrschen, glaube ich, eigene Gesetze!«
»Was ist denn aus diesem Schriftstück geworden?«, fragte Nitis, neugierig geworden.
»Nachdem er es gelesen hatte, gab er es an die oberste Behörde weiter.«
»An wen genau?«
»Das wusste mein Freund leider nicht.«
»Und was hatte das dann zur Folge?«
»Soweit mir bekannt ist – nichts. Deshalb rennen wir ja in unser Verderben. Keiner wagt es, den Mund aufzumachen. Mit dieser Art von Geschichten sind wir einfach überfordert. Mischt man sich ein, gibt es nichts als Ärger. Bis bald, Oberpriesterin.«
Nitis suchte sofort den Hohepriester auf, der gerade einen Plan für die verschiedenen Arbeiten erstellte, die bis zum nächsten Fest für die Göttin erledigt werden mussten.
»Was ist mit unserem Freund Pythagoras? Stellt er sich gut an?«, fragte er die junge Frau.
»Er benimmt sich tadellos und sehr verschwiegen. Ich wüsste nicht, was ich an ihm aussetzen sollte.«
»Beobachte ihn trotzdem weiter.«
»Man hat mir gerade erstaunliche Neuigkeiten anvertraut«, berichtete Nitis.
Aufmerksam hörte Wahibra der Priesterin zu.
Obwohl Pef, der Große Schatzmeister und Vorsteher der Felder, fast in Arbeit erstickte, gönnte er sich jetzt doch eine Pause im Schatten einer hundertjährigen Palme, die am Rande eines Teichs vor seinem stattlichen Haus in Sais wuchs. Um mehr Geld für das Heer zu erwirtschaften, hatte er gerade den Dienst im Zweifachen Haus von Gold und Silber, dessen Beamte keinen Wert auf Veränderungen legten, neu gestalten müssen.
Als ›oberster Herr über die überflutbaren Ufer‹ hatte er sich auch um die einträgliche Nutzung der Anbauflächen zu kümmern und empfing deshalb die Vertreter der wichtigsten landwirtschaftlichen Gebiete persönlich. Glücklicherweise hatten diese nichts Beunruhigendes zu berichten gehabt. Trotzdem durfte man auf keinen Fall laxen Sitten Vorschub leisten – das hätte schreckliche Folgen. Und Pef musste wieder einmal an Abydos denken, die heilige Stadt des Osiris, wohin er sich gern zurückgezogen hätte, um den Gott der Auferstandenen zu verehren.
Der Minister schloss die Augen und nickte ein – er träumte von einer friedlichen Welt ohne Betrüger und Faulenzer.
Sein Hausverwalter musste ihn wecken.
»Vergebt mir, aber der Hohepriester Wahibra wünscht Euch zu sprechen.«
Dieses Mittagsschläfchen war viel zu kurz gewesen.
Pef empfing den Freund in einem luftigen Raum seines Hauses, in dem man sich ungestört unterhalten konnte. Ein Diener reichte ihnen leichtes Bier und Honiggebäck.
»In diesen schweren Zeiten sollten wir die kleinen Freuden des Lebens genießen, mein Freund. Wer weiß schon, ob wir das morgen noch können?«
»Bist du jetzt etwa zum Schwarzseher geworden, Pef?«
»Alter und Müdigkeit steigern die Lebensfreude nicht gerade. Und ich befürchte, dein Besuch ist auch nicht dazu angetan, mich zum Lachen zu bringen.«
»Da hast du allerdings recht«, gab Wahibra zu.
»Ich hoffe nur, du willst mit mir nicht über die Ermordung der Übersetzer reden?«
»Doch, es gibt einen neuen, äußerst beunruhigenden Hinweis.«
»Mein Freund, mein lieber Freund! Kümmere dich nicht mehr darum. Henat baut mit Zustimmung des Königs unsere Außenbeziehungen neu auf. Und die Ordnungshüter werden in Kürze den Mörder gefasst haben. Vergiss endlich diese schreckliche Geschichte.«
»Weigerst du dich, mich anzuhören?«
Pef stieß einen Seufzer aus. »Nachdem ich weiß, wie hartnäckig du sein kannst, strecke ich die Waffen.«
»Unter den vielen schwierigen Schriftstücken, die der Leiter des Übersetzeramts zu bearbeiten hatte, befand sich auch ein Bericht über die Griechen in Naukratis. Da es um Beweise für erhebliche Veruntreuungen ging, soll er an die obersten Behörden weitergeleitet worden
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