Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
Schauspieler in der stillgelegten Werkstatt.
Sollte Gefahr drohen, würde der Esel sie warnen.
In dem Raum herrschte Dämmerlicht, und kein Laut war zu hören. Kel betrachtete Nitis. Sie erschien ihm wie der erste Strahl der Morgensonne, wie das Inbild der Hoffnung.
So nahe und doch unerreichbar!
»Wie weit sind wir?«, fragte Bebon und zerstörte diesen zugleich lustvollen und schmerzhaften Augenblick.
»Es ist Pythagoras nicht gelungen, den König zu überzeugen«, sagte Kel mit Bedauern in der Stimme. »Er sah sich gezwungen, nach Griechenland zurückzukehren.«
»Mit Menk verlief es nicht anders«, berichtete Nitis. »Angeblich behauptet der König selbst, dass es keine Waffenschiebereien gibt.«
»Das kann eigentlich nur bedeuten, dass Amasis die ganzen Verbrechen angeordnet hat«, meinte Bebon.
»Das glaube ich nicht!«, empörte sich Kel. »Noch nie hat ein Pharao sein Land und sein Volk verraten.«
»Die Zeiten ändern sich.«
63
W ie jede Woche stattete Nitis der heiligen Kuh einen Besuch ab; sie war die irdische Verkörperung der Göttin Neith und Mutter des Apis-Stiers, das lebendige Sinnbild für den königlichen Ka, die schöpferische Kraft des Pharaos. Sonst kam das friedliche Tier mit den sanften Augen immer zu der Priesterin, leckte ihr die Hand, und beide verbrachten einige glückliche Minuten.
Diesmal wirkte die Mutter von Apis niedergeschlagen.
Nitis war beunruhigt und ließ den Tierarzt rufen, der zu keinem guten Ergebnis kam.
»Apis' Mutter hat nicht mehr lange zu leben.«
Sofort eilte Nitis zum Hohepriester, der erschrocken war über ihre Angst.
»Ist Kel etwa in Gefahr?«
»Nein, ich habe ihn an einen sicheren Ort gebracht.«
»Was quält dich dann so?«
»Die Kuh der großen Göttin wird sterben.«
Wahibra war bestürzt über diese Nachricht.
»Ich muss sofort nach Memphis reisen und mich vergewissern, dass der Apis-Stier – ihr Sohn, der für Amasis' Lebenskraft sorgt – bei guter Gesundheit ist!«
»Ihr dürft den Tempel nicht verlassen«, erinnerte ihn Nitis. »Bitte erlaubt, dass ich an Eurer Stelle gehe.«
»Brich sofort auf. Unter den gegenwärtigen Umständen wäre der Tod von Apis ein schreckliches Unglück.«
Auf dem Schiff, das ausschließlich der Oberpriesterin der Neith zur Verfügung stand, achtete niemand auf einen Schreiber, einen Diener und einen Esel. Kel, Bebon und Nordwind konnten Nitis ganz ungestört begleiten.
Kel schrieb das Bordbuch, Bebon sorgte dafür, dass die Bierkrüge immer gefüllt waren, und Nordwind, der mit Disteln, Luzerne und Datteln gefüttert wurde, genoss sichtlich diesen Ausflug auf dem Nil, bei dem er sich gar nicht anstrengen musste.
Bei ihrer Ankunft in Memphis teilte die Priesterin dem Bootsführer mit, dass sie nur die Begleitung von zwei Dienern und einem Esel wünsche.
Im Norden der Festung der größten Stadt von Ägypten lag das stattliche Reich der Neith, der Tempel der ›Wegeöffnerin‹.
Nitis wurde von einer etwa vierzigjährigen Mitschwester begrüßt, die sie sehr herzlich empfing.
»Euer Besuch ist uns eine große Ehre.«
»Auch ich bin hocherfreut, Euch zu sehen. Leider schickt mich die Sorge zu Euch. Die Mutter von Apis ist gerade gestorben, und der Hohepriester befürchtet, dass auch ihr Sohn kränkeln könnte.«
Die Priesterin aus Memphis erschrak zutiefst.
»Konnte der verehrte Wahibra nicht selbst kommen?«
»Große Schwierigkeiten hindern ihn daran. Deshalb hat er mich als Stellvertreterin geschickt.«
»Gehen wir den Stier besuchen.«
Der Kult um den Apis-Stier stammte aus der Ersten Dynastie, in der unter der Herrschaft des Menes Ober- und Unterägypten vereinigt worden waren. Der Stier war Herold und Mittler der königlichen Macht und überhäufte den Tisch der Götter und Göttinnen mit unermesslichen Reichtümern. Als Verkörperung der Schöpfung, des Lichts und der Auferstehung wurde der Riese von einer Kuh geboren, die durch einen Blitz aus den Wolken erleuchtet war. Als Sinnbild für die Himmelsgöttin, die mit dem ersten Sonnenstrahl der Urzeit vereint ist, gebar sie nicht noch einmal. Ihr einziger Sohn, Apis, beschützte die Lebenskraft des Pharaos.
Der heilige Stier war einzigartig. Schwarz, mit einem weißen Dreieck auf der Stirn und dem Zeichen des wandelbaren Skarabäus auf der Zunge, bewohnte er ein Gehege südlich des Ptah-Tempels, ganz in der Nähe des königlichen Palastes. Dank der besonders guten Pflege verbrachte er lange und glückliche Jahre im Dienst für das
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