Göttersturz, Band 1: Das Efeumädchen (German Edition)
donnerte neben ihm ein Mauerbrocken vom Ausmaß einer Titanenfaust in eine der Ruinen. Die Stützsäulen knickten weg, als wären sie nichts weiter als dünne Ästchen. Tosend stürzte das Gemäuer in sich zusammen. Dabei wirbelte es so viel Staub auf, dass er sich wie eine Nebelfront über alles in seiner Nähe legte.
Corellius sah nicht einmal mehr den Kopf seines Schimmels vor sich. Blindlings ritt er in die Richtung los, in der er das Westtor vermutete.
Neben ihm donnerte Hufgetrappel.
»Ulme, bist du bei mir?«
Zur Antwort erhielt er ein zustimmendes Grunzen.
»Wenigstens etwas.«
Halb vom Instinkt ihrer Pferde geleitet, halb von Corellius' Erinnerung geführt, ritten sie aus dem Tor von Westheim. Sie zügelten ihre Rösser und husteten sich den Staub aus den Lungen.
»Das ist das Sonderbarste, was ich je in meinem Leben gesehen habe«, sagte Ulme, als er wieder zu Atem gekommen war. »Sogar sonderbarer als die Goldenen Gestade.«
»Wären wir doch nur um die verfluchte Schutthalde herumgeritten«, knurrte Corellius.
Der Rest der Eskorte entrann der Stadt und sammelte sich um sie. Keuchend ging der Zeremonienmeister Basterro in die Knie. »Wasser!«, hauchte der Greis. »Ich brauche Wasser!«
»Dank Eures Starrsinns kann ich Euch mit keinem einzigen Tropfen dienen«, sagte ihm Corellius. Auch wenn die Lage ernst war, wollte er diesen Moment auskosten. »Hättet Ihr nicht auf Eurem Willen beharrt, wären wir jetzt um Wasser, Vorräte, zwei Kutschen und – nicht zuletzt – mehrere Menschenleben reicher.«
»Haben wir denn gar nichts mehr?«, fragte Mellio. Während die übrigen Akademiker noch das Phänomen des Turmwesens disputierten, dachte er an das Wichtige.
Galeon meldete sich zu Wort. »Nur noch das, was wir in den Satteltaschen haben und am Leib tragen«, sagte er bitter und wischte sich weiter den Staub von der Rüstung.
»Wir werden das Wasser sammeln und rationieren. Das ist die sinnvollste Vorgehensweise, oder?« Jalinas glockenhelle Stimme erklang völlig unverhofft.
Nun richteten sich alle Augenpaare auf Corellius. Weil er sich im Nachhinein als Stimme der Vernunft herausgestellt hatte, wollten sie wohl nun alle sein Urteil hören.
Er nickte anerkennend. »So werden wir es machen. Wer sich dieser Anordnung widersetzt und Wasser allein für sich behält, bekommt es mit mir zu tun.«
»Wie weit ist es noch bis zum Trichter?«, fragte Galeon.
Die Hand als Sonnenschutz gegen die Stirn haltend, sah Mellio gen Westen. Corellius folgte seinem Blick. Hinter wenigen Dünen schimmerte ein Meer aus Baumwipfeln.
»Der Orchonhain«, sagte der dicke Wissenschaftler.
Ulme frohlockte. »Da gibt es sicher Wasser!«
»Vielleicht. Aber dort gibt es vor allem eines: Schwammlinge. Wir werden nicht lange auf Wassersuche gehen können, wenn diese Kreaturen uns auflauern sollten.«
»Hinter dem Wald ist schon der Trichter, oder?« Corellius rief sich die bruchstückhaften Niederschriften der vergangenen Eskorten ins Gedächtnis.
»Richtig«, sagte Jalina. Diesmal war sie diejenige, die anerkennend nickte. »Etwa zwei Tagesmärsche.«
»Dann sollte das Wasser bis dorthin reichen«, schloss Corellius. Er schluckte. Es fiel ihm schwer sich einzugestehen, was diese Worte für sie bedeuteten. Dabei habe ich es doch von Anfang an gewusst.
Ulme machte große Augen. »Was ist denn mit dem Rückweg?«
»Den wird es nicht geben.«
Schwammlinge
»Der Knöchel ist gebrochen«, schloss Corellius. Er wickelte den Verband ein letztes Mal um Jalinas Bein. »Wenn man ihn ordentlich behandeln lässt, wird er wieder. Aber hier fehlen uns die Mittel dazu.«
»Danke.« Sie zog wieder das Kleid über ihr Bein.
Einen Moment lang bedauerte er es, diesen Anblick wieder entbehren zu müssen. Alter Lüstling! , wies er sich zurecht.
Er saß zusammen mit dem Efeumädchen abseits des Nachtlagers, das sie gleich im Schatten des Orchonhains errichtet hatten. Eine bedrückte Stille lag über den Männern, wie sie Corellius nur aus den Lazarettzelten des Krieges kannte. Eine Stille im Angesicht des sicheren Todes.
Ein sternklarer Nachthimmel wölbte sich über ihnen. Längst hatte die Kälte der Nacht die Hitze des Tages abgelöst. Sie war nicht weniger unerbittlich und Corellius zog die Wolldecke noch enger um seinen Körper.
Schon der Marsch von Westheim hierher hatte seinen Tribut gefordert. In der Abenddämmerung waren ein Pferd und kurz darauf einer der Wachmänner zusammengebrochen. Sie konnten nichts anderes tun, als
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