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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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und Familie war ich auf anständige Weise nur in der Lage, ein geringes Entgelt zu verdienen.
    Also betrachtete ich die drei Möglichkeiten, die mehr versprachen.
    Da war der gut aussehende Rittmeister der Kürassiere, der, seit er mich das erste Mal im Café gesehen hatte, versuchte, mich zu einem Treffen an meinem freien Tag zu überreden. Es wäre vermutlich ein Leichtes, mit ihm ein Verhältnis anzufangen und von seiner Unterstützung zu leben. Ich hatte gehört, er sei nicht ganz unvermögend.
    Der Schauspieler aus dem Comödienhaus war ebenfalls an mir interessiert, und die Versuchung, sich dem bohèmehaften Leben der Künstler anzuschließen, hatte mich einige Nächte beschäftigt. Wie ich aus Nadinas Umfeld wusste, wurden in diesen Kreisen Frauen weit ernster genommen als in der bürgerlichen Gesellschaft. Außerdem war der junge Mann erheblich geistreicher und spitzzüngiger als der Offizier.
    Und dann war Doktor Anton Bevering in mein Leben getreten. Er gehörte zu den regelmäßigen Besuchern des Cafés, das hatte ich bereits nach einigen Wochen festgestellt. Er saß entweder alleine oder mit zwei, drei Begleitern an einem Tisch in einer ruhigen Ecke, benahm sich freundlich und unauffällig. Bis zu dem dunklen Abend im Dezember. Viel Betrieb herrschte an jenem dritten Advent nicht. Draußen fielen matschige Flocken, und die Straßen bedeckte eisiger Schlamm. Ich beobachtete, wie der Apotheker sich erschöpft an einem Tisch niedersetzte und die Zeitung neben sich legte. Sein Gesicht überzog ein müdes Grau, und als er sich mit beiden Händen die Augen rieb, wirkte er verloren und unglücklich.
    Ich hatte einen guten Instinkt für die Stimmung der Gäste entwickelt. Aus langjähriger Erfahrung wusste ich, wen ich in Ruhe lassen musste, wer eine fröhliche Bemerkung schätzte, wer ständig etwas zu nörgeln hatte oder wer sich gerne zu einer Leckerei überreden lassen wollte. Doktor Bevering gehörte zu jenen, mit denen ich immer ein paar Worte wechselte, Belanglosigkeiten über das Wetter oder den Verkehr auf der Straße. An diesem trüben Abend war ich die Einzige, die sich um die Besucher kümmerte, Bert und der andere Ober lehnten schwatzend hinter einer Vitrine, die Mädchen im Anrichteraum waren in Getuschel und Gekicher vertieft.
    »Guten Abend, Herr Doktor Bevering«, begrüßte ich ihn leise, und er fuhr zusammen. Als er zu mir aufsah, bemerkte ich seine geröteten Lider.
    »Fräulein Ella. Entschuldigen Sie, ich war in Gedanken.«
    »Es ist kalt heute und sehr unwirtlich. Ich hoffe, Sie haben sich keine Erkältung zugezogen.«
    »Nein. Aber bringen Sie mir etwas Warmes. Mir ist... Es geht mir nicht so gut.«
    »Was ist passiert, Herr Doktor Bevering?« Es war eigentlich nicht meine Art, persönliche Fragen zu stellen, aber der Apotheker tat mir leid.
    »Mein Bruder ist gestern gestorben«, sagte er leise. »Und ich habe mich mit meinem ältesten Freund zerstritten.«
    »Das ist schrecklich. Mein Beileid, Herr Doktor Bevering. Warten Sie, ich bringe Ihnen etwas, damit Sie sich ein bisschen besser fühlen.«
    Niemand hinderte mich, als ich für ihn eine große Tasse Schokolade mit Vanille, viel Zucker und einer Sahnehaube zubereitete. Der Apotheker saß noch immer regungslos an seinem Tisch, als ich ihm das heiße Getränk brachte.
    »Ich weiß, üblicherweise trinken Sie englischen Tee, aber probieren Sie heute unseren Kakao, Herr Doktor Bevering.«
    »Kakao? Vertreibt der Trauer und Zorn, Fräulein Ella?«
    »Vertreiben vielleicht nicht, aber er macht das Leben für eine Weile erträglicher.«
    Er umfasste die Tasse mit beiden Händen, als ob er sich daran wärmen wollte. Ich entfernte mich diskret, behielt ihn aber im Auge. Er trank langsam einige Schlucke und lehnte sich dann zurück. Zwei andere Gäste winkten mir zu, ich nahm ihre Wünsche entgegen und kümmerte mich um frischen Kaffee. Als ich schließlich wieder an Beverings Tisch vorbeikam, wirkte er nicht mehr ganz so grau im Gesicht.
    »Fräulein Ella!«
    »Ja, bitte?«
    »Danke. Es war ein guter Rat.«
    Ich lächelte ihm zu und steckte das großzügige Trinkgeld ein. Die Angelegenheit hätte ich fast vergessen, wäre ich ihm nicht eine Woche später wieder begegnet.
     
    Es war am Heiligabend.
    Trotz der Kälte und des Nieselregens war ich aus meinem Zimmer geflohen, denn alleine dort zu sitzen, erschien mir unsagbar deprimierend. Ich wanderte durch die verlassenen Straßen und bemühte mich nach Kräften, nicht an die vergangenen Jahre

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