Göttertrank
seinen schönen Holzregalen und den Reihen von Porzellandosen, Flaschen, Flakons und Kästchen, trat ich selten, aber im Laboratorium schaute ich manchmal Anton über die Schulter, wenn der Gehilfe anderweitig beschäftigt war. So auch heute, aber diesmal scheuchte Anton mich hinaus.
»Nein, Liebes, heute nicht. Wir bekommen abends Gäste. Und das hier ist eine übelriechende Angelegenheit.«
»Gäste? Sie haben mir gar nichts davon gesagt!«
»Es hat sich ja auch gerade erst ergeben. Ein netter junger Mann wird uns besuchen. Ein Kollege aus Bonn. Meinst du, du könntest Hermine überreden, am Abendessen teilzunehmen?«
»Oh, oh, mein Gemahl! Beschleicht mich da der Verdacht, Sie wollten in kupplerischer Absicht tätig werden?«
Bevering seufzte leise. »Sie geht so selten aus.«
»Das ist wahr. Nun, ich kann es versuchen, aber sie hat ihren eigenen Kopf, Anton. Wer ist der Herr? Vielleicht kann ich ihn ihr schmackhafter machen, wenn ich ein paar pikante Details kenne.«
»Er ist Mediziner und Botaniker, arbeitet im botanischen Garten der Universität und erforscht den Nährwert gewisser Lebensmittel.«
»Wenig hilfreich, Anton. Wie sieht er aus? Hinkt er, schielt er, hat er abstehende Ohren? Oder darf ich Hermine einen Apollo versprechen?«
Anton lächelte. »Ist das für euch Frauen wichtig?«
»Sagen wir mal, wichtiger als der Inhalt seiner Dissertation.«
»Ah, ja... Eine gewisse Oberflächlichkeit muss man dem schwachen Geschlecht wohl zubilligen.«
»Das starke, mein lieber Mann, widmet sich selbstverständlich immer erst den inneren Werten eines Weibes, bevor es ihm ins Dekolletee schielt.«
»Frechdachs!«
»Sie fordern so etwas heraus, Anton! Also? Adonis, Zeus oder hinkender Hephaistos?«
»Ich würde zum Vergleich eher den germanischen Götterhimmel heranziehen. Oder zumindest die Helden dieses harten Volkes. Doktor Jan Martin Jantzen stammt aus Bremen und...«
Der Rest der lichtvollen Ausführung rauschte an mir vorbei, denn ich hatte mit meiner Fassung zu ringen. Jan Martin – in Bonn! Er kannte meine wahre Identität. Würde er mich bloßstellen? Ich hatte Anton Bevering eine nahe an der Wahrheit liegende Geschichte erzählt, aber ich war als Ella Annamaria Wirth in die Ehe gegangen und hatte ihn gebeten, mich Amara zu nennen. Aber wie würde mein Mann darauf reagieren, dass ich eine per Signalement gesuchte Mörderin war?
»Was ist, mein Kätzchen? Ist die Luft hier drin so schlecht? Du bist ja ganz blass. Komm, ich bringe dich nach oben.«
»Danke, Anton. Es geht schon wieder. Ich... ich kümmere mich um Hermine.«
»Ja, Liebes, tu das. Jakob kommt übrigens auch. Wir werden zu fünft speisen.«
Er drängte mich aus dem Laboratorium, und erleichtert schlüpfte ich die Treppe hinauf. Ich brauchte einige Minuten, um mich zu fassen. In meinem Wohnzimmer öffnete ich die Fensterflügel und schaute hinunter. Doch das Treiben auf der belebten Straße sah ich nicht, sondern nur wieder die grauenvolle Szene in Nadinas Café.
Was war dort wirklich geschehen?
Wie würde Jan Martin auf mich als ehrenwerte Apothekergattin reagieren?
Tief atmete ich die staubige Sommerluft ein. Wahrscheinlich machte ich mir viel zu große Sorgen. Jan Martin hatte ich als einen etwas schüchternen, aber ausgesucht höflichen Mann in Erinnerung. Er würde verblüfft sein, aber hoffentlich geistesgegenwärtig genug, sich nicht zu verplappern.
Er sah noch genauso aus wie vor zwei Jahren. Hochgewachsen, breitschultrig, mit einer blonden Lockenmähne und einem ebensolchen Bart, was sich verwegen zu dem strengen schwarzen Anzug ausnahm. Er trat auf mich zu, und ich reichte ihm die Hand. Einen winzigen Augenblick weiteten sich seine Augen vor Überraschung, dann aber sagte er: »Verehrte gnädige Frau, liebe Frau Doktor Bevering, ich bin überaus entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen. Mein Herr Kollege hat mir zwar mitgeteilt, er sei vor kurzem in den Stand der Ehe getreten, und ich habe ihm pflichtschuldigst gratuliert. Jetzt aber muss ich ihm meine tief empfundenen Glückwünsche noch einmal aussprechen. Doktor Bevering, Sie haben ein bezauberndes Weib errungen!«
In ausgesuchter Höflichkeit zog Jan Martin meine Hand an die Lippen, und ich spürte, wie sein seidiger Bart meine Haut streifte. Mein mühsames Lächeln verlor seine Starre, und mit aufrichtiger Freude schaute ich ihn an.
»Und ich bin glücklich, dass mein Gatte einen so charmanten Gast eingeladen hat. Darf ich Sie meiner Stieftochter
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