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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Mademoiselle Violetta, die ihn so weit gereizt hatte, dass er seine guten Manieren vergessen und außer sich vor Verlangen ihren lächelnden Madonnenmund geküsst hatte.
    Verdammt, sie musste es doch wissen. Er selbst war ein solcher Trottel gewesen. Erst als er jemanden in seiner Nähe sagen hörte: »Der Domino mit der weißen Haarsträhne muss Masters sein«, traf es ihn wie eine Ohrfeige. Er hatte diese Absonderlichkeit nicht bedacht, die von der Maske nicht verdeckt wurde. Amara aber war nach seinem unstatthaften Übergriff spurlos verschwunden. Und später hatte sie nie ein Wort darüber verloren, dass an jenem Abend etwas zwischen ihnen passiert war.
    War ja auch nicht. Himmel, es war ein Kuss. Mehr nicht. Es war schließlich Karneval gewesen.
    Heute war ein heißer Augusttag, nicht der kalte, feuchte Februar seiner Erinnerung. Und Amara war die Tochter eines der reichsten Männer des Landes.
    Ihr zu Ehren gab de Haye ein Fest, zu der sich die Crème der Gesellschaft einfinden würde. Amara war der leuchtende Stern unter ihnen.
    Das verhärmte kleine Mädchen aus der Hinterhofwohnung, das sein junges Herz damals angerührt hatte, war spurlos verschwunden.
    Er gönnte es ihr.
    Aber trotzdem …
     
    Melisande ließ sich von dem Dienstmädchen ins Kleid helfen. Amara, mit der sie sonst immer gemeinsam Toilette gemacht hatte, war schon am Morgen zu de Hayes Villa aufgebrochen, um die Vorbereitungen für das Gartenfest zu überwachen.
    Die Röcke raschelten und fielen in ihre weiten Falten, und mit ungeschickten Fingern nestelte das Mädchen die vielen kleinen Knöpfe am Rücken zu. Als sie endlich fertig war, dankte Melli ihr und schickte sie fort, um sich vor dem Spiegel selbst ihre Frisur zu richten.
    Was für eine Wendung für Amara, dachte sie, während sie ihre schwarzen Haare aufsteckte. Noch ganz genau konnte sie sich an den Abend erinnern, als sie am Arm von Lothar de Haye von der Rheingräfin zurückgekehrt war. Die beiden hatten ihr kurz berichtet, was geschehen war, dann war de Haye gegangen. Amara hatte sich auf das Sofa fallen lassen. Sie war blass, und das Glas Wasser, um das sie gebeten hatte, zitterte in ihren Händen.
    Drei Tage war ihre Freundin wie im Traum umhergeschlichen und wollte niemanden sehen, mit niemandem sprechen. Melli akzeptierte das. Sie hatte genug Phantasie, sich vorzustellen, was in Amara vorging. Sie selbst hatte ihren Vater zwar gekannt, doch er war gestorben, als sie gerade vier Jahre alt war. Sie war sich sicher, dass auch er einer von Nadinas lahmen Hunden war. Er war einer der russischen Kriegsgefangenen, die die Preußen in Potsdam angesiedelt hatten. Das Einzige, woran sie sich erinnern konnte, waren sein schöner Bariton und die vielen Lieder, die er ihr vorgesungen hatte. Seine Musikalität brachte ihm die Stellung als Leiter des Gefangenenchors ein, und obwohl er nur noch einen Beinstumpf hatte und sein linker Arm vernarbt und kaum zu gebrauchen war, hatte er die Gruppe zu einer Berühmtheit gemacht. Er hatte auch Nadinas Stimme ausgebildet, und als er einer Lungenentzündung erlegen war, hatte sie damit die Grundlage gehabt, um ein Engagement als Soubrette am Königsstädter Theater zu erhalten.
    Eine Weile hatte Melisande ihn vermisst, doch dann verblasste sein Bild, und ihre Mutter schaffte es, sie allen Widrigkeiten zum Trotz alleine großzuziehen. Nadina hatte einige Liebschaften, heiraten wollte sie jedoch nie wieder, obwohl es ihr an Anträgen nicht gefehlt hatte.
    Vielleicht war das auch der Grund, warum sie selbst nicht so recht an die Ehe glaubte. Zwischen ihr und Jan Martin war das Thema nie zur Sprache gekommen. Und in der letzten Zeit – je nun, in der letzten Zeit hatte Jan immer häufiger seine Forschungen vorgeschoben, um sie nicht mehr zu besuchen. Es schmerzte sie ein wenig, dass die Affäre so im Sand verlief, aber wenn sie ehrlich zu sich war – die große Liebe ihres Lebens war Jan nicht. Ein verletzter, unglücklicher Mann, dem sie Trost spenden konnte, ein guter Freund, ein vertrauter Kamerad, das war er. Wie hatte er sich gefreut, als er von der Verbindung zwischen Amara und de Haye gehört hatte. Melli lächelte in Erinnerung an sein fassungsloses Gesicht. Anschließend hatte er Amara in die Luft gehoben und sie dreimal durch den Raum geschwenkt.
    Das war eine Woche nach dem sensationellen Ereignis gewesen, und Amara war wieder sie selbst geworden. Es beeindruckte sie nicht sonderlich, die Tochter eines reichen Mannes zu sein. Sie wollte

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