Göttertrank
Amara. Julia möchte mich auch ständig dazu überreden.«
»Ist denn die Idee so undurchführbar? Sie haben doch Fry in Bristol besucht, sagte mir Jan«, hakte Lothar nach.
»Sicher, aber er stellt lediglich das Kakaopulver her, und in seiner Fabrik gibt es nur Maschinen für das Rösten und Mahlen und einige Pressen. Die Herstellung von Essschokolade ist ein viel aufwendigeres Verfahren.«
»Meine Tochter kennt das Verfahren, nicht wahr, Amara?«
»Nun ja, ich habe vor einiger Zeit schon mal darüber nachgedacht. Zum einen braucht man Maschinen, die die Kakaoschalen entfernen, Rührwerke, Mischer, Waagen. Aber ihr Ingenieure werdet doch sicher auch dafür technische Lösungen finden.«
Jan beobachtete, wie Alexander Amara anblickte, und mit einer Mischung aus Belustigung und Mitgefühl entdeckte er, dass sein Freund vermutlich eigenhändig die Fabrik für sie aus dem Boden stampfen würde, wenn sie ihn ernsthaft darum bäte.
»Alexander, habe ich Sie nicht neulich so verstanden, dass es Ihr Traum ist, eine komplette Fabrik zu entwerfen und zu bauen?« Lothars Augen funkelten, er witterte tatsächlich ein Geschäft.
»Wenn ich die Mittel zusammen habe. Es gehört mehr dazu, als eine Dampfmaschine aufzustellen und die einzelnen Geräte anzuschließen. Aber die Idee ist reizvoll. Ich habe gerade den Auftrag erhalten, eine Steingutfabrik hier unten in Mehlem zu modernisieren. Das Verfahren, aus Ton Formen herzustellen, ist der Herstellung von Schokoladentafeln vermutlich nicht unähnlich.«
»Nein, tatsächlich nicht«, stimmte Lothar zu und nickte bedächtig. »Walzen, Brechen, Mischen, Rühren, in Form gießen … Ich habe in Amerika eine solche Anlage besichtigt.« Und dann grinste er breit. »Ich wäre an einer Finanzanlage in eine solch fortschrittliche Fabrik durchaus interessiert.«
»Ah, Alexander! Nagle ihn fest!«, rief Melli und veränderte flugs ihre Haltung und ihre Stimme, wodurch sie ihrer Mutter Nadina verblüffend ähnlich sah. »Amarrra. Wir rechnen, wir probieren, dann wir sehen!«
Alle lachten, und Jan beobachtete, wie Dorothea sich aus ihrer halb liegenden Haltung erhob und zur Mokkakanne ging.
»Möchte noch jemand?«, fragte sie in die Runde, und alle streckten ihr die Tässchen entgegen. Sie füllte sie sorgsam und lehnte sich dann wieder zurück.
»Sie meinen das ernst, de Haye?«, knüpfte Alexander an die vorherige Bemerkung an.
»Ja, ich meine das ernst. Es wäre mir tatsächlich ein Herzensanliegen, denn ich schulde meiner Tochter ein halbes Leben. Und sie ist diejenige, die sich von Kindheit an mit der Schokolade beschäftigt.«
»Deinen Neffen, der sich dem Zucker verschrieben hat, sollten wir aber mit ins Boot ziehen, Vater«, fügte Amara hinzu. »Wir könnten ihn brauchen, denn Honig ist tatsächlich zu klebrig in der Mixtur.«
Jan Martin hörte der Unterhaltung eine Weile still zu und ließ seine Gedanken wandern. Die Vorstellung gefiel ihm. Ein nahrhaftes, wohlschmeckendes Produkt, das sich auch die weniger Begüterten leisten konnten, würde bei der grassierenden Unterernährung ebenso hilfreich sein wie Zitrusfrüchte bei Skorbutkranken. Die Stimmen hoben und senkten sich, während er über Experimente nachdachte, die seine These erhärten könnten und damit dem Produkt zum Erfolg verhelfen würden. Doch plötzlich ließ ihn ein Stöhnen auffahren.
Amara hielt sich die Hand an den Magen gepresst und wurde von einem heftigen Krampf geschüttelt.
»Was ist dir, Kind?«, fragte Lothar erschrocken, aber sie konnte nichts mehr als keuchen. Jan sprang auf und setzte sich neben sie.
»Melli, öffne ihr das Mieder!«, befahl er, während er versuchte, Amara aufzurichten. Es war eine grauenhafte Erinnerung an einige ganz ähnliche Situationen, die ihn packte. »Hat sie sich in den vergangenen Wochen verletzt, Melli? Lothar?«
»Nein. Nicht, dass ich wüsste.«
Allmählich löste sich der Krampf, und Melli hatte ihr endlich das Kleid aufgehakt und zog an den Miederbändern.
»Schmerz. Magen!«, stöhnte Amara, und Jan stützte sie.
»Du musst es loswerden. Komm in die Ecke.« Resolut packte er sie und steckte ihr den Finger in den Mund.
Dann drehte er sich zu Max um, der sich die Hand an die Lippen drückte, und rief ihm zu: »Max, du musst so schnell wie möglich ins Labor reiten. Lothar, wir brauchen sofort ein Pferd. Ich benötige Hanfextrakt. Es geht auf Leben und Tod!«
Lothar rannte bereits aus dem Zelt, und einen kleinen Augenblick schien Max zu zögern. Dann
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