Göttertrank
aber griff er in die Rocktasche und ging zu Jan, um ihm ein Fläschchen zu reichen.
»Ich hab zufällig welchen dabei, Jan.«
»Her damit. Melli, nimm es.«
Sie standen hilflos in einer kleinen Gruppe um die beiden herum. Amaras Kleid war besudelt und zerrissen, Jan versuchte zu verhindern, dass sie sich in dem neuen Krampf verletzte, und Melli wartete darauf, ihr die Medizin in den Mund zu träufeln.
»Hilf mir, Max. Wir müssen sie ruhig stellen.«
»Ja, natürlich.«
Max beugte sich nieder, um Amaras Schultern zu fassen, und Jan blickte auf. Dabei bemerkte er, wie Dorothea sich aus dem Zelt zu stehlen versuchte.
»Alexander! Hindere sie daran!«, rief er.
Alexander erwachte aus einer Starre und fragte: »Wen?«
»Dotty. Halt sie fest. Fessle sie, kneble sie, schlag sie meinethalben zu Boden. Das hier ist ihr Werk!«
Dorothea machte ein paar eilige Schritte auf den Zeltausgang zu, aber Alexander hatte seine Geistesgegenwart wiedergefunden. Mit einem festen Griff packte er sie am Arm und zerrte sie in Richtung Haus.
Lothar begegnete ihnen, als sie die offene Fenstertür erreicht hatten. Entsetzt starrte er seine sich windende und wüste Beschuldigungen hinausschreiende Nichte an.
»Was geht hier vor, Alexander?«
»Ich fürchte, diese reizende Dame hat Ihre Tochter vergiftet. Haben Sie einen Raum, in den wir sie einsperren können, bis wir Zeit haben, uns mit ihr zu befassen?«
»Haben wir. Das Pferd steht bereit.«
»Max hatte das Medikament dabei. Zeigen Sie mir den Raum.«
Süßer Schlaf und bitteres Ende
Man hat schon oft gesagt,
Du seiest des Todes Bild,
O Knabe, still und mild,
Süßer Schlaf!
Der Schlaf, Vischer
Als ich aus dem wirren Dämmer meiner Träume auftauchte, war der Raum um mich nur von einem kleinen Nachtlicht erhellt. Doch jemand saß an meinem Bett, und auf mein leises Stöhnen hin strich eine weiche Hand über meine Stirn. »Amara, bist du wach?«
Ganz sicher war ich mir nicht. Und das, was aus meiner Kehle kam, war auch kein befriedigendes Geräusch, aber es schien der Person zu gefallen. Ein Arm legte sich um meine Schultern, hob mich ein Stückchen an, und dann wurde mir eine Tasse an die Lippen gehalten.
Süßsaure Limonade. Sie tat gut und spülte den grässlichen Geschmack in meinem Mund fort.
»Melli?«
»Ja, milaja. Schlaf noch ein bisschen. Wir sind bei dir.«
Wieder streichelte sie mich, und ich versank in den Strudel wilder Träume.
Als ich das nächste Mal auftauchte, war es hell im Zimmer. Ein großes, mir völlig fremdes Zimmer, durch dessen geöffnetes Fenster Vogelzwitschern klang. Mein Kopf fühlte sich noch immer an, als wäre er mit alten Kartoffelsäcken ausgestopft, und meine Glieder lasteten bleischwer auf der weichen Matratze. Auch nur einen Finger zu heben bereitete mir unsägliche Mühe. Aber die Augen konnte ich bewegen und erkannte Jan, der auf einem Stuhl neben dem Bett saß.
»Du bist wieder von dieser Welt, Amara«, sagte er und nahm mein Handgelenk, um den Puls zu fühlen. »Jetzt dauert es nur noch ein paar Tage, bis du dich wieder kräftiger fühlst.«
Ich wollte etwas sagen, aber er schüttelte nur den Kopf. »Pssst, Liebes, wir sorgen für alles.«
Auch er gab mir Saft zu trinken und richtete die Decke.
Der Schlaf, in den ich daraufhin sank, war friedlicher, die Bilder weniger verstörend.
Das Erwachen fiel mir dann auch leicht, und ich erkannte meinen Vater an meiner Seite.
»Kind, wie fühlst du dich?«
»Schlapp.« Meine Stimme klang krächzend, aber als ich mich geräuspert hatte, ging es schon besser. »Ich fühle mich wach. Ich glaube, ich habe lange genug geschlafen.«
»Fünf Tage, um genau zu sein. Bist ein bisschen spitz geworden um die Nase.«
»Was ist passiert?«
Das interessierte mich plötzlich, denn das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war eine außerordentlich demütigende Situation im Gartenzelt.
»Man hat versucht, dich zu vergiften. Aber Jan hat dich gerettet. Mehr brauchst du im Augenblick nicht zu wissen.«
Ich grübelte einen Moment nach. Schreckliche Schmerzen, Krämpfe, die mir fast das Bewusstsein raubten, Melli, die mein Kleid zerriss, Schreie …
»Dorothea?«
Das Gesicht meines Vaters war eine grimmige Maske.
»Sie wird dir nichts mehr tun, Amara. Komm, trink etwas.« Und dann lächelte er: »Nun gehorch schon, Kleine. Als du ein Kind warst, habe ich es versäumt, dich zu füttern, also hole ich es jetzt nach.«
Er half mir, mich aufzurichten, und reichte mir ein
Weitere Kostenlose Bücher