Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
bezweifeln. Das war vermutlich ein Unfall, lediglich auf die Nachlässigkeit des Kindermädchens zurückzuführen. Aber sie hatte ihm das Leben nicht leicht gemacht mit ihrer beständigen Eifersucht. Was immer er bekam, wollte sie auch haben. Gewährte man es ihr nicht, konnte sie sich in entsetzliche Schreikrämpfe hineinsteigern, die nur mit Zuckerstückchen beendet werden konnten. Später war sie ruhiger geworden, aber liebevoller? Nein. Aber sie hatte, genau wie er, wenig Liebe erfahren. Ihre Eltern hatten sich nie mit ihnen beschäftigt, nie ihre kindlichen Sorgen angehört, sie in ihren Ängsten getröstet oder sie gelobt, mit ihnen gescherzt oder gar Stolz auf ihre Leistungen gezeigt. Für ihn war seine Wissbegierde ein Ausweg gewesen, er hatte Freunde unter den Pächtern, seinen Lehrern und später Schulkameraden gefunden. Dotty interessierte sich aber ausschließlich für ihre eigene Person, und so war sie einsam aufgewachsen. Vielleicht, dachte Maximilian, vielleicht hatte sie immer nach Liebe geschrien. Und immer hatte man sie nur mit Zuckerstückchen beruhigt.
    Bis zum Tod.
     
    »Ihrem Gatten, der ihr durch einen tragischen Unfall viel zu früh von der Seite gerissen wurde, war sie eine getreue Gefährtin, eine aufopferungsvolle Gattin und ein liebend Weib«, tönte der Pfarrer und schnäuzte sich dann vernehmlich in ein großes rotkariertes Taschentuch.
    Lothar de Haye musste eine Anwandlung von Übelkeit unterdrücken. Gut, er hatte den Mann nicht darüber aufgeklärt, dass seine Nichte eigenhändig ihren Gatten vergiftet hatte. Und auch nicht, dass sie zuvor jahrelang Opfer seiner geschlechtlichen Perversionen gewesen war. Selbst Max wusste nicht alles, nur Amara, Jan Martin und Alexander hatte er berichtet, was seine Nichte ihm auf dem Sterbebett anvertraut hatte. Was für eine unselige junge Frau Dorothea doch gewesen war. Er hatte nie verstanden, warum seine Schwester, die Baronin von Briesnitz, sich so gar nicht in das Mädchen einzufühlen wusste, ihr so wenig mütterlichen Rat erteilt und ihr außer Dünkel und Hochmut keine edlere Haltung mitgegeben hatte. Mehrere Male hatte er versucht einzugreifen, zu lenken, sie aus der Bredouille zu retten, aber er selbst musste zugeben, er hatte es überwiegend mit Geld und harten Worten getan. So war sie an diesen unsäglichen Finckenstein geraten, und der Strudel von Lieblosigkeit, Vernachlässigung und Misshandlung hatte sie tiefer und tiefer in den moralischen Morast gesogen.
    Wie anders war seine Tochter geraten. Lothar wandte sich nach links und sah das blasse Gesicht Amaras, deren Blick auf den gefalteten Händen in ihrem Schoß ruhte. Bastard eines Küchenmädchens, vaterlos aufgewachsen, verwaist und mittellos als junges Mädchen, unschuldig angeklagt hatte sie nahe dem Abgrund gestanden und war nun doch eine heitere und vor allem einfallsreiche Frau von ausgesucht damenhafter Contenance.
    Dorothea hatte ihr geneidet, was ihr selbst nicht gelungen war. Die Bitterkeit hatte sie genauso zerfressen wie der Zucker in ihrem Blut.
     
    »Die tugendsame Verblichene hinterlässt einen kleinen Sohn, ein Waisenkind nun, das alleine auf der Welt steht und nie mehr die Arme einer hingebungsvollen Mutter spüren wird. Unsere Gedanken und Gebete müssen auch diesem Kind gelten, für das nun kein Mutterherz mehr schlägt.«
    Alexander unterdrückte ein Gähnen. Das eintönige Gesäusel des Gottesmannes wirkte einschläfernd auf ihn. Dorothea hatte er persönlich nicht gut gekannt. Doch aus Erzählungen wusste er von ihr. Ob sie eine gute Mutter gewesen war, mochte er nicht beurteilen; eine tugendsame Frau war sie mitnichten. Er erinnerte sich an die pikante Geschichte, die ihm Julius, sein Bruder, erzählt hatte, der einige Monate lang mit Dotty verlobt gewesen war. Eine selbstsüchtige Schlampe hätte er sie eher genannt, und er schuldete Amara Dankbarkeit, weil sie damals dazu beigetragen hatte, dass die Ehe zwischen ihnen beiden in letzter Minute verhindert worden war. Er kannte kein Mitleid mit der Frau, die kaltblütig gemordet hatte, auch wenn gewisse Umstände ihr das Leben sicher unerträglich gemacht hatten. Was musste in ihrem verwirrten Geist vorgegangen sein, dass sie zuletzt auch Amara noch hatte umbringen wollen? Konnte ein Mensch tatsächlich krank vor Eifersucht und Neid werden?
     
    Der Pfarrer räusperte sich, schlug in seinen Notizen nach und fuhr mit seinem näselnden Singsang fort: »Eine lange, qualvolle Krankheit hat die liebe Dorothea mit

Weitere Kostenlose Bücher