Göttertrank
Glas. Mit seinen Händen umfasste er die meinen und hob es an meinen Mund. Es klappte ganz gut, und ich leerte es ganz.
»Jan sagt, du musst viel trinken, Amara. Und jetzt, da du ein bisschen wacher bist, werden wir beide daran arbeiten.«
»Ja, Vater.«
Er war rührend um mich bemüht, aber es lagen dunkle Ringe um seine Augen, und wenn er sich nicht beobachtet fühlte, drückte seine Miene düsteren Zorn aus. Es war also noch etwas geschehen, was ihn tief erschüttert hatte. Aber da er nicht darüber sprechen wollte und ich nicht die Kraft hatte, auf eine Erklärung zu drängen, döste ich einfach still vor mich hin.
Maximilian war der Nächste, den ich an meinem Bett antraf, als ich aus einem flaumigen Schlummer erwachte. Abendschatten füllten den Raum, und ein leises Regentröpfeln schlug an das Fenster.
»Du hast ein schönes Gewitter verschlafen, Cousine.«
»Wie schade.«
»Du siehst besser aus als gestern noch. Wie geht es dir?«
Ich fühlte in meinem Körper nach. Das Blei war verschwunden, die Kartoffelsäcke in meinem Kopf auch. Ich hob die Hand und betrachtete sie.
»Kräftiger, glaube ich. Kräftig genug, um zu erfahren, was passiert ist.«
Auch über Max’ Gesicht huschte ein Schatten. Aber er nickte.
»Ja, es ist besser, wenn du es weißt. Meine Schwester hat dir ein Pulver in die Mokkatasse getan. Es hätte dich fast umgebracht. Ich verstehe einfach nicht, was sie dazu getrieben hat. Sie hasst dich aus tiefster Seele. Was ist nur zwischen euch vorgefallen?«
»Max, ich weiß nicht, was in ihr vorgeht. Ich habe sie vor Jahren einmal in eine sehr blamable Situation gebracht. Kann sie denn so nachtragend sein?«
»Es muss mehr dahintergesteckt haben. Wir grübeln noch darüber.«
»Warum fragt euer Onkel sie nicht? Er hat doch Einfluss auf sie?«
»Wir können sie nicht befragen, Amara. Sie ist kaum ansprechbar.«
»O Gott.«
»Sie ist krank, sehr krank. Jan weiß nicht, ob sie sich überhaupt noch einmal erholen wird.«
Darauf wusste ich einfach keine passende Bemerkung, also ließ ich mich wieder in ein halbwaches Dösen fallen.
Melli weckte mich mit dem leisen Klappern von Eimern. Es war ein heller Morgen, und mit vereinten Kräften gelang es uns, mich in eine Badewanne zu schaffen. Es fühlte sich gut an, die Haare gewaschen zu bekommen, eingecremt zu werden und ein frisches Nachthemd überzuziehen. Doch als ich wieder in den Kissen saß, war ich ganz froh, diese Anstrengung hinter mir zu haben.
»Du, Melli, ich glaube, ich habe Hunger.«
»Halleluja!«, rief sie und stürzte zur Tür.
Kurz darauf kam sie mit einem Tablett zurück, auf dem eine kleine Auswahl an Krankenkost stand. Ich entschied mich für die Hühnersuppe, die ich sogar selbst auslöffeln konnte.
Und dann erhielt ich endlich Auskunft.
»Dorothea ist für kurze Zeit zu sich gekommen. Dein Vater hat mit ihr gesprochen, danach ist sie wieder ins Koma gesunken. Sie ist noch immer nicht erwacht.«
»Es tut mir leid.«
»Nein, Amara, das braucht es nicht. Es ist alles viel schlimmer, als wir je gedacht haben. Jan, Lothar und Max haben etwas Grauenvolles entdeckt.«
Melisande sah erschreckend ernst aus, und wieder fiel mir der dunkle Schatten in den Augen von Max und meinem Vater ein.
»Sie wollte mich vergiften, ich weiß.«
»Es wäre ihr auch beinahe gelungen. Sie hat nämlich Übung darin. Die drei Männer haben am Tag des Gartenfests noch ihr Retikül untersucht und ein Döschen mit einem braunen Pulver gefunden. Jan hat es mit ins Labor genommen und irgendetwas damit gemacht. Ich glaube, eine Maus gefüttert. Sie ist daran gestorben. Dann haben sie in Dorotheas Wohnung nachgesehen, und dein Vater hat eine Flasche mit den Samen eines afrikanischen Strauchs bei ihr entdeckt, die er früher einmal gesammelt und mit anderen Exponaten zusammen seiner Schwester zur Aufbewahrung geschickt hat. Max hat sie auch wiedererkannt. Man nennt sie Krähenaugen oder Brechnuss, und sie enthalten, wie Jan uns erklärt hat, ein Gift, das sich Strychnin nennt. Wer es einnimmt, stirbt unter entsetzlichen Krämpfen, die denen des Wundstarrkrampfes ähnlich sind.«
In diesem Moment hatte ich wieder Gilbert vor Augen, wie er sich vor mir zusammengekrümmt hatte und in das Messer gestürzt war.
»Sie hat Gilbert umgebracht, nicht wahr?«
»Ja, sie hat ihm von dem Pulver in den Kakao gegeben. Glaubte, es sei ein Brechmittel.«
»Ich erinnere mich, er hatte einen Batido bestellt, und sie wollte ihm Muskatnuss
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