Goettin - Das Erwachen
besann sich darauf ihrer Freundin beizustehen. „Was ist passiert?", fragte sie sanft. Kurz lachte Lee irre auf, dann begann sie leise und stockend von den Geschehnissen zu berichten.
„Du bist nicht darauf gekommen, dass sich Liams Wut nicht gegen dich richtet? So wie du ihn mir beschrieben hast, würde ich darauf tippen, dass er sich selbst Vorwürfe macht und nicht dir.", stellte Mia klar und sah auf Lee herunter. Sie hatte sie in einen Bademantel gewickelt und auf ihre Couch verfrachtet. Die Verwirrung ihrer Freundin war schon fast greifbar. „Warum hat er mich dann weggeschickt?"
Manchmal war Lees Hirn brillant, manchmal auch nicht.
„Weil er dich schützt." Sie sah Lee dabei zu, wie diese Information in ihr arbeitete und sie dabei einen großen Schluck Whiskey nahm. Sie hatte den Drink mit Rohypnol versetzt. Ganz schön praktisch einen Vergewaltiger zum Mann zu haben. Sie hatte die Droge beim Ausräumen entdeckt. Nun fand sie die Entscheidung, das Mittel nicht wegzuwerfen, goldrichtig. „Ich muss zu ihm!" Lee sprang auf und Mia bekam gerade noch ihren Arm zu fassen. „Du bleibst hier! Ich habe dir was in den Drink getan, dass du schlafen kannst. Du kannst nicht mehr Autofahren.", erklärte sie ihr und drückte sie zurück auf die Couch. Lee beschwerte sich nicht mal darüber, sondern nickte nur. Entweder hatte Lee ihr nicht zugehört oder es war für sie in Ordnung betäubt zu werden. Vorsichtig nahm Mia vor ihrer Freundin auf dem Couchtisch platz.
Eine Weile schwiegen sie. „Ich muss wirklich untertauchen.", sagte Lee schließlich jammernd. Mia war zum selben Schluss gekommen. Innerhalb der letzten Monate war alles, was Lee wichtig war, angegriffen, verletzt oder getötet worden. Es war der einzig richtige Schluss. Mias Seele schien in Flammen zu stehen, aber sie bezwang sie mit ihrem Verstand und mit ihrem eisernen Willen. Wenn Lee ging, ging der einzige Mensch, der ihr hier wirklich etwas bedeutete. „Ja." brachte sie gerade noch heraus. „Ich kann das nicht!", jammerte Lee weiter. Es kostete Mias gesamten Willen, bei dieser Debatte die andere Seite zu wählen. Sie hatte sich nach Thomas Angriff geschworen, Lee eine gute Freundin zu sein, also musste sie jetzt sicherstellen, dass Lee das Richtige tat. Es bedeutete, dass sie den Menschen, den sie besser als sich selbst kannte, dazu bringen musste abzutauchen. „Warum nicht?", fragte Mia unerbittlich. „Es gibt so viele, die mich brauchen! Ich kann ihnen einfach nicht so wehtun." Mia musste Lee schnell aus diesem Selbstmitleidsgebrabbel herausholen. Also entschied sie sich zum Angriff. „Wer braucht dich? Deine Schwester lebt ihr eigenes Leben. Du hast mir selbst erzählt, dass diese Frau Berger ständig nach Dienstschluss bei deinem Vater ist und das Rudel kann sich gegenseitig helfen. Also wer?"
Lee heulte leise. „Wenn ich untertauchen will, muss ich meinen eigenen Tod vortäuschen.", versuchte sie es wieder. Mia schüttelte den Kopf, sie würde es ihr nicht durchgehen lassen. „Wenn du bleibst, bringst du die Menschen, die du liebst, in Gefahr. Mir ist lieber, wenn du mir das Herz brichst und mich nicht mein verdammtes Leben kostest.", griff sie weiter an. Sie war so gut, sie glaubte sich fast selbst. Sie beobachtete, wie Lees Schultern sich strafften und sie sich die Tränen weg wischte. Langsam kam die selbstbewusste, kämpferische Frau, die Lee immer gewesen war, zum Vorschein. Mia hatte sich im Stillen Sorgen gemacht, weil Lee diese Frau in letzter Zeit oft vermissen ließ. Liam war so beschützend und fürsorglich vor ihr gestanden, dass Lee ihre Frau einfach nicht stehen musste. Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie bequem das war. Allerdings nicht besonders hilfreich, wenn man bedachte, welche Zukunft Lees Mom prophezeit hatte.
„Ich schaffe das einfach nicht.", stellte Lee fest. „Ich weiß, dass ich abhauen muss, aber ich bringe es einfach nicht übers Herz." Mia ergriff die Hände ihrer Freundin und fragte sich, wann dieses verdammte Zeug endlich anschlug. „Ich werde dir dabei helfen.", versprach sie ihr leise. Lees Augen waren noch vollkommen klar, als sie ansah. „Machst du das für mich? Schwörst du, dass du meinen Arsch aus dieser Stadt schaffst, wenn ich es nicht kann?", fragte Lee. Das war wirklich viel verlangt, aber sie hatte sich ja selbst auf diese Nummer eingelassen. Also nickte sie. „Ich schwöre." Mia fiel auf, dass sie erst vor wenigen Monaten schon mal einen Schwur geleistet hatte. Hätte sie es nur
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