Goettin - Das Erwachen
klang zwar immer noch nicht ganz legal, aber doch besser als das, was sie befürchtet hatte. „Diplomat und Urkundenfälscher, also?" Josh grinste und nickte. „Ja, so ungefähr." Lee nickte beruhigt. „Was für ein Auftrag ist es?" Sein zweites Betätigungsfeld war für sie deutlich interessanter. „Nur eine Kleinigkeit zwischen einem Wolf und einem Vampir. Die Einzelheiten kann ich dir noch erzählen. Aber ich denke, es wäre für dich gut, wenn du mehr von uns kennenlernst und dir ein unvoreingenommenes Bild von Wandlern und Vampiren machen kannst." Bisher hatte sie sich nicht wirklich einen objektiven Eindruck verschaffen können. Liam und sein Rudel waren schon seit Jahren eng mit ihr befreundet gewesen und sie ertappte sich dabei für Josh ähnlich zu empfinden. Immerhin war er ein enger Vertrauter von Liam. Die restlichen Nichtmenschen hatten alle versucht sie zu entführen oder zu töten. Sie nickte wieder. „Ja, etwas Objektivität könnte nicht schaden.", stimmte sie Josh zu.
Sie kaute noch auf einer letzten Pommes herum und schob dann satt den Teller ein Stück von sich. „Erzähl mir mehr über Leslie Potter.", bat sie Josh. Er hatte sich nicht wieder dem Sport zugewandt, sondern sie lächelnd beobachtet. Wieder zwinkerte er ihr zu. Hätte sie sich nicht gerade von seinem besten Freund getrennt, wäre sie vielleicht für sein blendendes Aussehen und die äußerst charmante Art empfänglich gewesen. Nun war sie einfach nur froh, in ihm einen freundlichen und humorvollen Rückhalt zu haben. Auch wenn er sie wie eine Prinzessin behandelte und ihr offenbar wirklich helfen wollte, machte er ebenfalls keine Anstalten richtig mit ihr zu flirten. Lee war mit diesem Stand der Dinge zwischen ihnen sehr zufrieden. „Ich habe dir einen ausführlichen Lebenslauf auf den Schreibtisch gelegt. Aber die Kurzfassung kann ich dir auch so geben. Du bist 25. Eine Amerikanerin aus reichem Haus. Deine Eltern sind früh verstorben und du bist in einem Internat in der Schweiz groß geworden. Anschließend hast du in Tübingen und Zürich Germanistik studiert. Seit einem halben Jahr bist du bei mir als persönliche Assistentin angestellt."
Lee ging die Fakten noch einmal gedanklich durch. Josh hatte ihr eine andere Nationalität gegeben, hatte aber darauf geachtet, dass die Identität zu ihr passte. So konnte sie nach fast dreizehn Semester Anglistik problemlos als Amerikanerin durchgehen. „Will ich wissen, wie du mich schon seit sechs Monaten angestellt hast, ohne dass ich anwesend war?", fragte sie zwischen Zweifel und Bewunderung. Josh wiegte seinen Kopf ein wenig Hin und Her. „Ich habe nur ein paar Erinnerungen meiner Angestellten angepasst. War kein großes Ding." Lee konnte sich immer noch nicht so recht entscheiden, ob sie Joshs Fähigkeit gut oder verwerflich finden sollte. „Wie machst du das?" Neugierig war sie in beiden Fällen. Josh sah ihr direkt in die Augen und lächelte nun breit. „Ich zeige es dir. Du musst mir einfach nur in die Augen schauen." Sofort schloss Lee ihre Augen und wendete ihren Kopf ab. Sie würde einen Teufel tun und Josh an ihren Erinnerungen herumspielen lassen. „Wenn ich mitbekommen, dass du das nur einmal bei mir machst, werde ich dir ein paar Finger mit einem Buttermesser abschneiden.", drohte sie und ließ ihre Augen sicherheitshalber geschlossen. Josh lachte brüllend, hatte sich aber schnell wieder gefangen. „Du würdest dich nicht mehr daran erinnern, wenn ich deine Erinnerungen manipuliere." Lee konnte nicht anders und funkelte ihn böse an. Sie war ihm nicht wirklich böse. Aber sie musste diese Regel unumstößlich aufstellen. Es war für sie der blanke Horror, wenn sie sich nur vorstellte, dass Josh ihr Erinnerungen nehmen oder hinzufügen konnte. „Ich kann deine Gedanken lesen, Vampir. Ich werde es mitbekommen, wenn du an meinem Gehirn warst.", stellte sie klar. Josh schien nicht beunruhigt. Er lächelte sie weiter an und hob die Hände, als er „Touché." murmelte.
Langsam breitete sich Schweigen aus. Josh hatte sich wieder dem Fernsehbild zugewandt und Lee war in Gedanken versunken. Sie dachte an als das, was sie verloren hatte. Aber auch an alles was in den letzten Monaten an Wissen und Erfahrungen dazugekommen war. Freude über ihr neues Ich und ihre Fähigkeiten wurde von Traurigkeit abgelöst, als sie an Chris dachte. Er hatte sein Leben für sie gegeben. Das ultimative Opfer gebracht, nur um sie zu schützen. Aber war sie das auch wert? Erst jetzt
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