Goettin - Das Erwachen
auch immer das ist, Lee, tu alles dafür, dass du glücklich bist. Egal, was die Leute reden. Wir haben schließlich nur dieses eine Leben. Verstanden?" Lee nickte langsam. Ihr inneres Teufelchen jubelte über den Freischein, den ihre Schwester ihr gerade ausgestellt hatte. Nein! Wer konnte schon eine verdammte Heilige hintergehen?
Warum war ihre Schwester nur so perfekt? Sie war mit 165 cm etwas größer als Lee, hatte trotz der Schwangerschaft vor einem Jahr einen schönen Körper, schulterlanges blondes Haar und grüne Augen. Sie hatte ein riesiges Herz und jeder mochte sie. Sie sah nur die guten Züge in ihrem Gegenüber. Immer! Auch wenn Lee sich oft deshalb um sie gesorgt hatte, hatte es Isa mit traumwandlerischer Sicherheit geschafft, nie an die falschen Typen zu geraten. Sie hatte selten über die Stränge geschlagen und führte mit David und Tim ein Bilderbuch Kleinstadt-Hausfrauen-Leben. Selbst als sie mit dem einzigen Club-Besitzer weit und breit zusammen gewesen war, war sie immer die hübsche, liebevolle Freundin geblieben. Keine Alkoholexzesse, keine Männergeschichten! Sie war der Inbegriff von der perfekten Frau. Lee stöhnte innerlich. Wenn man sie danebenstellte, war sie eine hässliche, versoffene und gewissenlose Schlange!
Isabel berührte sie leicht an der Schulter „Lee, ich hab das nicht ganz ohne Grund gesagt.", erklärte sie. „Ich sehe dir an, dass dich was quält. Irgendwas beschäftigt dich. Du bist unglücklich." Okay, doch kein Oscar! Vielleicht eine goldene Ananas? „Ich weiß, dass Liam ein Auge auf dich geworfen hat." Hatte er? Davon hatte sie bis gestern nichts bemerkt! Isabell hatte zwar nicht ganz den Grund für ihre Grübelei getroffen, aber sie war verdammt nah dran. Lee stieß einen uninteressierten Laut aus und hoffte, Isa würde es damit gut sein lassen. „Die Leute zerreißen sich schon fast. Er treibt sich ständig in deiner Nähe herum. Er bezahlt dir viel mehr als den anderen Aushilfen in seinem Laden und wenn er dich ansieht, fangen seine Augen an zu leuchten. Das habe ich mir zumindest sagen lassen." Isa stieß ihr unvergleichliches helles Lachen aus, als sie Lees Gesichtsausdruck sah. Sie war so perplex von Isabells Ansprache, dass sie ihre Gesichtszüge im Moment nicht im Zaum halten konnte. Lee spürte, dass Isa die Wahrheit sagte. Und die Art, wie sie es sagte, war völlig frei von Vorwürfen. „Es macht mir nichts aus.", fuhr sie in beschwingtem Tonfall fort. „Wir waren nie füreinander bestimmt. Mit uns ist es schon so lange vorbei und ich bin jetzt ja bestens versorgt." Isa zwinkerte ihr zu „Wenn er dich glücklich macht, nimm ihn dir!" Lee war völlig erstaunt. Sie hätte davon doch etwas mitbekommen müssen, oder? „Isa, da ist nichts zwischen Liam und mir! Und er bezahlt mir mehr, weil er in mir die kleine Schwester sieht, die er nie hatte. Und überhaupt, die Leute haben doch keine Ahnung und zu viel Fantasie!"
Isa sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Das war ihr berühmter Mach-mir-doch-nichts-vor-Blick. Leise setzte sie noch einmal an: „Wir waren nicht besonders lange zusammen und du weißt, dass die Schwangerschaft nicht geplant war." Die Erinnerung an das verlorene Baby ließ Isa das Gesicht verziehen und auch Lee wurde schwer ums Herz. Mitfühlend drückte sie ihrer Schwester die Schulter. Die schüttelte ihre Hand ab und straffte die Schultern. „Ob mit oder ohne Kind, wären wir nicht zusammengeblieben.", stellte Isa mit klarem Tonfall fest. „Eigentlich wollte ich mich von ihm trennen, als ich schwanger wurde.", fügte sie leise hinzu. Isa hatte mit ihr damals nicht darüber gesprochen. Trotzdem konnte sich Lee daran erinnern, dass Isa lange nicht so fröhlich und gelöst wie heute gewesen war. Trotzdem versuchte es Lee noch mal. „Da ist nichts zwischen uns." Selbst in ihren Ohren klang das lahm. Isa zuckte mit den Schultern, drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus und wand sich zum Haus. „Na, dann musst du ja auch kein so bedrücktes Gesicht machen." Sie streckte sich und ging zur Tür.
„Ich denke, für Timmi wird es jetzt Zeit fürs Bett. Wir werden dann mal nach Hause gehen." Damit ließ sie Lee alleine auf der Terrasse stehen. Ganz toll! Isa hatte ihr den Persil-Schein, vor dem sich Lee so fürchtete, auf dem Silbertablett präsentiert. Die Frau sollte wirklich nur noch mit Heiligenschein herumlaufen! Ja, Lee war wirklich neidisch auf das Leben, dass Isabell nun führte. Trotzdem war ihr auch bewusst, dass ihr
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