Goettin - Das Erwachen

Minute, fand sie. Nun, es war bereits stockfinster, standen sie an einer Weggabelung im Wald. Den einen Weg, an dessen Ende eine Laterne den Mercedes anstrahlte, würde Lee gehen. Der Andere führte über die Lichtung zu dem Parkplatz, auf dem Liams Auto immer geparkt war. Nur Liams Handy, das seit einer Weile aufgeregt brummte, durchbrach die Stille. Genervt warf Liam einen Blick darauf und steckte es wieder weg. „Wer ist das?", fragte Lee um den Abschied noch ein wenig hinauszuzögern. Er antwortete nicht sofort.

    „Es ist Mario und deine Schwester." Lee nickte. Ihr Unfall war also bereits geschehen und ihre Familie informiert. Nun gab es kein Zurück mehr. Sie hatte erwartet, dass ihr dieser Moment Angst machen oder wehtun würde, aber ironischerweise fühlte es sich sogar ein klein wenig befreiend an. Da Liam immer noch offiziell ihr Freund war, versuchten sie ihn zu erreichen. „Was wirst du sagen, warum du nicht an dein Telefon gegangen bist?" Er zuckte leicht mit den Schultern und unternahm einen Versuch ungerührt auszusehen. Lee verzichtete darauf, ihm zu sagen, dass es ihm nicht gelang. „Ich war im Wald und hab mein Telefon im Auto vergessen." Lee nickte erleichtert, das und die Aussagen von mehreren Hundebesitzern, die Liam und sein Auto über den Nachmittag im Wald gesehen haben wollten, würden ihm ein solides Alibi liefern. Dafür hatte Josh bereits gesorgt. Nur für den Fall, dass die Polizei doch auf den abwegigen Gedanken kam, jemand hätte bei ihrem tragischen Unfall nachgeholfen.

    „Du solltest langsam los. Wenn Mario mich nicht erreichen kann, wird er vermutlich bald hier auftauchen.", sagte Liam und zog sie in eine Umarmung. „Pass gut auf dich auf.", flüsterte sie leise. Sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte, obwohl sie ihm eigentlich noch so vieles sagen wollte. „Du auch auf dich, Kätzchen. Und melde dich bald." Bat er sie. Natürlich. Ganz bald! Versprach sie ihm auf dem Weg, auf dem sie sich melden würde. Sie beschloss, sich noch heute Abend bei ihm zu melden. Nachdem er die erste Runde trauernder Witwer hinter sich hatte. Sie hoffte, es würde ihm helfen diese Rolle zu spielen. Kurz verharrten sie so, die Arme umeinander geschlungen und sahen sich tief in die Augen. Es wird anders sein, aber ich verspreche dir, du wirst mich nie wirklich verlieren . In ihren Augen brannten Tränen. Tränen, die sie heute nicht weinen durfte. Das würde es für Liam nur noch schlimmer machen und für sie selbst vermutlich auch. Du mich auch nicht, Kätzchen. Gab Liam ihr das Versprechen zurück. Wenn sie beide sich die Wahrheit, wenigstens für die nächsten paar Minuten, schön reden konnten, würde es sich vielleicht nicht nach endgültigem Abschied anfühlen. Ich bin echt mies beim Abschiednehmen. Gestand sie schließlich. Ich glaube, niemand ist gut darin. Bringen wir es einfach schnell hinter uns. Außerdem ist es ja kein richtiger Abschied und wir sehen uns bald wieder. Liam log und beide wussten es. Trotzdem ging Lee darauf ein. Es wird sich einfach wie ein längerer Urlaub anfühlen. Bestätigte sie kaum überzeugend. Er löste sich von ihr und küsste sie auf die Stirn. Da diese jetzt höher lag als bisher, musste sich Liam nur ein kleines bisschen vorbeugen. Obwohl sie erst von wenigen Stunden, ganz andere Dinge miteinander getrieben hatten, fühlt sich dieser unschuldige Kuss richtig und gut an. Nun vertraute sie wirklich darauf, dass das Band ihrer Freundschaft immer Bestand haben würde. Mach mich Stolz . Bat er sie, als er sich umdrehte. Er war erst ein paar Meter weg, als sie antwortete. Das werde ich. Kurz hielt sie inne. Lee wäre nicht Lee, wenn sie sich den nächsten Spruch verkneifen könnte. Und wehe du heulst auf meiner Beerdigung nicht! Sie hörte eine Mischung aus Schnauben und Lachen, als er langsam von der Dunkelheit verschluckt wurde. Ich werde in Würde um meine sanftmütige, folgsame und unglaublich tote Geliebte trauern. Konterte er theatralisch. Hoffentlich lieferte er auf ihrer Trauerfeier eine bessere Performance ab. Trotzdem musste sie auch schmunzeln.

    Während sie zu der Mercedes-M-Klasse - wenn sie den Fahrzeugschein richtig gelesen hatte, gehörte dieses Autos sogar ihr - ging, verschwand mit jedem Schritt ein Stück Trauer und wurde durch Hoffnung und ein bisschen Vorfreude ersetzt. Vorfreude auf die Welt und ihre Abenteuer.

Kapitel 28

    James saß vor dem modernen Küchenblock in der makellosen Küche und starrte die leere Arbeitsfläche an. Er