Goettin - Das Erwachen
seiner Nähe zu bleiben. Dieser Plan schien ihm nicht nur taktisch klug. Lee um sich zu haben, brachte in den letzten Wochen auch sein müdes Herz wieder auf Hochtouren.
Er ging durch den offenen Wohn-Essbereich zur Tür. Er hatte den offenen, luftigen Stil dieser Wohnung vom ersten Augenblick gemocht. Wenn man die Wohnung betrat, stand man sofort in einem großen zwei Etagen hohen Raum, den er als Küche, Esszimmer und Wohnzimmer nutze. Im hinteren Teil hatte er ein Büro und eine Toilette vom Raum abgetrennt. Über die Wendeltreppe gelangte man auf die Galerie, an die sich sein Schlafzimmer mit großem Badezimmer anschloss. Im Moment fühlte es sich hier drin allerdings stickig und bedrückend an. „Kann aber auch daran liegen, dass du eine Scheißangst vor diesem Gespräch hast.", murmelte er zu sich selbst. Was wenn sie ablehnte und wirklich eine Gefahr darstellte? Oder noch schlimmer, überhaupt kein Interesse an ihm und einer Intensivierung der Freundschaft hatte? Er drückte den Türöffner ohne die Gegensprechanlage zu benutzen und öffnete die Wohnungstür.
Als Lee in das Treppenhaus trat, nahm er ihren Duft wahr. Er schien seit gestern noch stärker und betörender geworden zu sein. Da sie eine Weile brauchte um zu ihm in den 2. Stock zu gelangen, schloss er die Augen und genoss ihren Duft für einen Moment. Sie roch so gut. Nach Sonne und nach Maiglöckchen. Komischerweise war ihm das früher nie aufgefallen. Wie Watte umhüllte ihn dieser Geruch und er musste einen Seufzer unterdrücken. Als er seine Augen wieder öffnete, nahm sie gerade die letzten Stufen und sah zu ihm mit einem matten Lächeln auf. Er zuckte zurück, als er sie sah. Die blonde lange Mähne hing zerzaust an ihr herunter, die kleine Stupsnase war rot und die großen, braunen Kuhaugen Tränen unterlaufen. Das Erscheinungsbild wurde von breiten, schwarzen Mascaraspuren über ihren Wangen abgerundet. „Um Himmels willen, Lee! Was ist passiert? Geht es dir gut?" Er nahm ihre Hand und zog sie in seine Wohnung. Als er sie wieder ansah, runzelte sie die Stirn. „Ja." Ihre Stimme klang krächzend und sie räusperte sich. „Ja, alles gut. Warum?" Sie sah ihn verwundert an. Offensichtlich hatte sie keine Ahnung, warum ihr Anblick ihn besorgte. „Kätzchen, du siehst völlig verheult und fertig aus." Sie kratzte sich mit dem Fingernagel über den Nasenrücken. Das machte sie immer, wenn sie nicht wusste, was sie sagen sollte, war Liam aufgefallen. „Wirklich alles gut?", fragte er noch einmal. Sie zuckte mit den Schultern. „Ja, ich ... meine Mom ... Sie hat mir einen Brief geschrieben." Sie kramte in ihrer Handtasche und beförderte einen Umschlag zutage. „Hier." Sie hielt ihm den Umschlag hin „Lies ihn. Ich mache mich mal schnell frisch."
Ohne weitere Umschweife ging sie zur Toilette und ließ ihn stehen. Er seufzte, setzte sich auf den Hocker, der vor seiner Couch stand, und überflog die Zeilen. Er musste sich räuspern, als er ihn gelesen hatte. Das erklärte ihren Auftritt. Ein kleiner, eifersüchtiger Teil von ihm, ärgerte sich über die Katze. Wer auch immer er sein mochte! Er war fast traurig darüber, das Lees Zukunft keinen großen, dunkelhäutigen Wolf beinhaltete. Er überlegte einen Moment, ob diese Katze Pino sein könnte. Verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Iris war nie warm mit Pino geworden. Außerdem war er ihm nie besonders großherzig und schon gar nicht stark erschienen.
Er hörte Lee aus der Toilette kommen und sah auf. Viel besser! Ihr Gesicht war noch leicht feucht, aber wieder sauber. Das Haar hatte sie zusammengebunden und ihr Lächeln war wärmer geworden. „Setz dich.", forderte er sie auf und wies auf die Couch direkt vor ihm. Sie setzte sich und er zog den Hocker näher an die Couch. Er setzte sich direkt vor sie. So nahe, dass sie ihre Beine auseinandernehmen musste, um seinen Beinen dazwischen genügend Platz zu lassen. Er nahm einen weiteren Umschlag vom Tisch neben sich, stütze sich mit den Ellenbogen auf seinen Knien ab und beugte sich soweit vor, dass ihre Augen auf gleicher Höhe waren. „Diese Katze ...", begann er. Aber Lee schüttelte sofort energisch den Kopf. „... ist niemand, den ich kenne, Liam. Das würde ich wissen!", stellte sie sehr bestimmt klar. Er nickte erleichtert. Erst mal musste er sich sammeln und sich an die Ansprache, die er sich zurechtgelegt hatte, erinnern.
„Bereit?", fragte er, obwohl er es selbst ganz und gar nicht war. Er versuchte, aufmunternd zu
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