Goettin - Das Erwachen
wäre, dass sie sich noch in Deutschland befand, hätte sie vermutet, dass diese Lichtung am Zeichenbrett entstanden war. Das Gras war saftig grün und kniehoch. Die Bäume drum herum wirkten, wie ein dichter, dunkelgrüner Ring, der nichts von der realen Welt durchließ. Es wirkte wirklich wie eine andere, sehr friedliche Welt. „Ist das der Trainingsplatz?", wand sie sich an Liam. Er nickte. „Und was sollen wir hier nun tun?" Seine rechte Hand lag noch immer auf ihrem Rücken und er begann, mit seinen Fingern an ihrem Zopf zu spielen. „Erst mal müssen wir herausfinden, wie du deine Kraft steuern kannst. Was hast du denn gemacht, dass du die Gedanken lesen konntest?" Sie versuchte sich zu erinnern, allerdings lenkte Liams Hand sie echt ab. Als hätte er eine heiße Herdplatte angefasst, zog Liam die Hand von ihrem Rücken. Erstaunt sah er von seinen Fingern zu ihr. „Ich hab mich gerade an dir verbrannt!" Sie musste lächeln, denn jetzt wusste sie es sicher. Sie nickte. „Ich habe mir ja auch gerade gewünscht, dass du deine Pfoten von mir nimmst." Er zog die Augenbrauen hoch. „Du hast es dir gewünscht?" Lee nickte. Liam machte ein nachdenkliches Gesicht und sagte: „Gut. Dann spielen wir heute wünsch dir was!"
Ein paar Stunden später trat Liam mit einem breiten Grinsen aus dem Wald. Er hatte ihr die Aufgabe gestellt jeden seiner Versuche, sie zu berühren, mit einem anderen Wunsch abzublocken. Und bisher hatte alles, was sie sich wünschte funktioniert. Sie hatte ihn erstarren lassen, ihn schweben lassen, ihn ein paar Meter zurück versetzt und gerade eben sogar verschwinden lassen. Das hatte sie furchtbar erschreckt, als er plötzlich nicht mehr da war. Erleichtert seufzte sie auf, als sie ihn sah. „Wo warst Du? Wo habe ich dich hingeschickt?" Sein Grinsen wurde noch breiter. „Das willst du gar nicht wissen! Aber an der Zielgenauigkeit müssen wir noch arbeiten. Dein Wunsch, dass ich wieder komme, hat mich in einen Baum da hinten geschickt." Er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter. „Wie wäre es mit einer Pause?", fragte sie kleinlaut. Er nickte und kramte aus seiner Umhängetasche zwei Flaschen Wasser und zwei Schokoriegel. Sie setzten sich, tranken durstig und schwiegen für eine Weile.
Lee kaute auf ihrer Unterlippe. Sie dachte schon den ganzen Tag über etwas nach. Liam hatte sich neben ihr ins Gras gelegt und hatte die Augen geschlossen. Um klarer zu sehen, musste sie ihn fragen. „Liam, diese Aura-Sache.... Ist das jetzt immer noch so wie Freitagnacht?" Er öffnete seine Augen nur halb. „So ziemlich, warum?" „Warum bist du dann noch nicht über mich hergefallen?" Jetzt öffnete er seine Augen ganz und setzte sich auf. „Ich denke, du hast da was missverstanden. Dieses Kribbeln, das du spürst, wenn du mich berührst, macht dich das willenlos?" Sie dachte einen Moment nach. „Nein, es fühlt sich gut an, wie eine kleine Massage, aber ich verhalte mich dann nicht anders als sonst. Nicht so wie ihr am Freitag." „Ich glaube, ich hab das Gestern nicht richtig erklärt." Jetzt war Lee verunsichert, nickte ihm aber zu, um ihm zu signalisieren, dass er weiter erzählen sollte. „Das, was ich Aura genannt habe, ist nichts anderes als dieses Kribbeln, nur das wir es spüren können, ohne dich zu berühren. Die Magie, die an uns haftet, verursacht das. Je stärker das Wesen, desto stärker das Kribbeln. Soweit klar?" Lee nickte. Das hatte sie sich gestern schon gedacht. „Nun stell dir vor, du bist in einem großen Raum voller Menschen und dich erfasst ein intensives Kribbeln am ganzen Körper. Es ist sehr angenehm, du weißt aber nicht, was es ist, weil du es noch nie gespürt hast. Und ja, es kribbelt an sämtlichen Körperteilen. Dann steht ein Mädchen vor dir. Du kennst sie schon lange, arbeitest mit ihr und du weißt über sie, dass sie vollkommen menschlich ist. Aber sie ist zum Anbeißen mit ihren großen Augen und ihrer langen, blonden Mähne und ihrem ... na, du weißt schon. Zu dem flirtet sie mit dir. Ist dir jetzt klarer, was am Freitag passiert ist und warum niemand dich damit in Verbindung gebracht hat?" Sie versuchte, die Aussage irgendwie auf die Kette zu bekommen. „Das heißt, ich mach dich unabsichtlich geil?" Liam lachte laut und sah sie dann mit einem unergründlichen Blick an. „Ja, Kätzchen. Aber das liegt nicht nur an deiner Aura. Zumindest nicht bei mir." Sie schluckte hart. Damit hatte sie nun nicht gerechnet. Aber war das wirklich wahr? Fand Liam
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