Goettin - Das Erwachen
unbeeindruckter Gesichtsausdruck wütend. Durch den unvermittelten Stopp ihrer Bewegung kam sie aus dem Gleichgewicht und ruderte mit den Armen. Nur die sichere Hand um ihr Bein bewahrte sie davor auf dem Boden aufzuschlagen. Enttäuscht keuchte sie auf. Erst als sie wieder sicher auf einem Bein stand, wurde das andere losgelassen.
„Ich kann sehen, was du vorhast. Du musst schneller und ohne Ansatz treten." Liams Freundlichkeit in seiner Stimme brachte sie fast zur Weißglut. Ohne vorher wieder in die Grundstellung zu gehen, versuchte sie es mit einem Round-Kick zu Liams Niere. Liam veränderte nicht mal seine Haltung, als er den Tritt mit dem Unterarm blockte und mit einem geraden Kick konterte. Kurz vor ihrem Hals verharrte Liams Schuh. Er bedachte sie dabei mit seinem Echt-jetzt-Blick mit gerunzelter Stirn. Während sie immer versuchte wirklich zu treffen, stoppte Liam jedes Mal kurz vor seinem Ziel. Aber auch ohne den Tritt zu spüren, gab Lee auf. Sie konnte nicht einen Treffer landen, während Liam traf, wo er wollte. Obwohl sie bereits seit Wochen trainierten, machte sie kaum Fortschritte. Sie warf die Hände in die Luft und drehte sich zu ihrer Tasche, die sie wie immer auf einem umgefallenen Baum platziert hatte. „Ich geb's auf." Während sie einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche nahm, hörte sie Liam leise lachen. „Du bist zu streng mit dir, Kätzchen. Manche brauchen Jahre, um so gut zu werden, wie du nach drei Monaten bist."
Sie wischte sich den Schweiß auf ihrer Stirn mit einem Zipfel ihres Tops ab und trank noch einen Schluck. Die Sonne war bereits hinter den Bäumen verschwunden und trotzdem kühlte es nicht ab. Auch der Wind, der gegen ihr Gesicht strömte, brachte keine Abkühlung. Es war eher als würde ihr jemand einen Föhn ins Gesicht halten. „Trotzdem muss ich besser werden." entgegnete sie ihm unversöhnlich und ging vor ihm wieder in Stellung. Es kratzte an ihrem Stolz, dass sie es nicht hinbekam ihn zu treffen. Nur einen verfluchten Treffer, mehr wollte sie doch gar nicht. Dass er einer anderen Spezies angehörte, ließ sie als Ausrede für dieses Versagen nicht gelten. Liam hob die Hände. „Machen wir für heute Schluss. Das Rudel kommt gleich und außerdem ist mir zu heiß um wirklich zu trainieren." Auf Liams Gesicht und seinem freien Oberkörper schimmerte der Schweiß. Es war Hochsommer, deshalb hatten sie erst in der Abenddämmerung mit ihrem Training begonnen. Da sie keine Uhr dabei hatte, konnte sie nur schätzen, wie lange sie gekämpft hatten. Es war höchstens eine halbe Stunde gewesen. „Warum hast du mich dann mitgenommen?" Sie wusste, dass sie maulte. „Du wolltest doch mal das Rudel in Aktion sehen." entgegnete ihr Liam. Stimmt, den Wunsch hatte sie geäußert. Als die Alphawölfin sollte sie bei den regelmäßigen Jagden zumindest hin und wieder anwesend sein, fand sie.
Sie war mittlerweile so vertraut mit Liams Wolf, dass sie neugierig war, wie die anderen aussahen und sich verhielten. Liam als Wolf war ihr wirklich ans Herz gewachsen. Sie spielte hin und wieder noch eine wenig, nach ihrem täglichen Training mit ihm. Natürlich traute sie sich nicht ihn Stöckchen holen zu lassen oder ihm andere Befehle, wie Sitz oder Fuß, zu erteilen. Sie war sich immer bewusst, dass ihr schöner, weißer Wolf immer noch Liam war. Er würde sie ohne zu zögern übers Knie legen, wenn sie etwas Derartiges versuchen würde. Zumindest drohte er ihr damit. Ihr Spiel mit dem Wolf war eher wie eine Balgerei. Der Wolf schubste sie um und versuchte sie unten zu halten. Sie versuchte Mal mit Muskelkraft, mal mit ihrer Begabung ihn unter sich zu halten. Normalerweise endete es immer damit, dass Liam sich wieder in einen Menschen verwandelte und die Balgerei deutlich erotischer wurde. Der Teil gefiel ihr am Besten, um ehrlich zu sein.
„Wollte ich." bestätigte sie. „Aber im Moment will ich nur eine kalte Dusche und anschließend in deinem klimatisierten Wohnzimmer Beamtenmikado spielen." Liam sah sie fragend an. „Beamtenmikado?" „Die Regeln sind ganz einfach. Wer sich zu erst bewegt, verliert." erklärte sie schmunzelnd. „Oh. Das klingt wirklich verlockend. Wenn du keinen Bock hast, kannst du auch schon mal alleine nach Hause gehen und ich komme später nach." Kurz dachte Lee über sein Angebot nach und sah sich um. Die Sonne war fast weg und langsam senkte sich Dunkelheit über ihre kleine Lichtung. In einer halben Stunde würde sie kaum noch die Hand vor Augen
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