Göttin der Wüste
Ehren. Aber was wollte sie von dir?«
»Sie hat Fragen gestellt, genau wie du es vorhergesehen hast. Nach der Sache mit dem Mantel dachte ich eigentlich, sie taucht nie wieder hier auf. Aber du hattest recht, sie wollte ihn tatsächlich bezahlen.«
Adrian nickte ungeduldig. »Natürlich. So gut kenne ich sie mittlerweile. Also, was noch?«
»Wenn du mich fragst, weiß sie über Selkirk Bescheid. Sie hat sich nach Henoch erkundigt, und nach Kain. Das ist doch kein Zufall, oder?«
»Nein.« Adrian atmete tief durch und begann, im Laden auf und ab zu gehen. »Sie hat etwas gefunden, in ihrem Zimmer. So eine Art Tagebuch. Selkirks Aufzeichnungen über seine Ausgrabungen. Darin steht alles, mehr sogar, als wir bisher wußten.«
Haupts Blick verdüsterte sich. »Warum hast du mir das nicht früher erzählt?«
»Weil keine Zeit war. Sie hat das Buch gestern abend erst gefunden, und ich habe es heute nacht aus ihrem Zimmer gestohlen. Ich mußte die beiden San vor der Tür bestechen. Liebe Güte, unsere eigenen Angestellten …«
Haupt legte den Kopf unmerklich schräg. »Was, um Himmels willen, wolltest du mitten in der Nacht in ihrem Zimmer?«
Adrian wich seinem Blick aus. »Mit ihr reden.«
»Aha«, machte Haupt gedehnt und lächelte. »Du hast sie gern.«
»Ich glaube nicht, daß das eine Rolle spielt.«
»Bist du dir da sicher?«
Adrians Zögern währte nur eine Sekunde, aber er wußte, daß Haupt es richtig deuten würde. »Ich mag sie, das ist alles. Auf jeden Fall lag das Buch auf ihrem Bett. Ich habe es mitgenommen und sie schlafen lassen. Es hat bis heute mittag gedauert, es durchzulesen. Ich habe keine Minute geschlafen. Als ich mein Zimmer verließ, erzählten mir die Mädchen, daß Cendrine kurz zuvor nach Windhuk aufgebrochen sei. Ich hätte nicht gedacht, daß Mutter das erlaubt. Wie auch immer. Jedenfalls bin ich aufs erstbeste Pferd gesprungen und habe es tatsächlich geschafft, ein paar Minuten vor ihr hier zu sein. Und da sagst du, ich hätte dir noch irgendwas erklären sollen? Sie kam ja fast hinter mir zur Tür herein!«
»Wo ist das Tagebuch jetzt?« fragte Haupt.
»In meinem Zimmer.«
»Ich würde es gerne lesen.«
»Das wirst du«, entgegnete Adrian beschwichtigend.
Haupt musterte ihn mit gerunzelter Stirn. »Versprich mir nichts, das du nicht halten wirst. Du willst es ihr zurückgeben, nicht wahr?«
»Vielleicht, irgendwann. Es gehört ihr. Sie hat es entdeckt.«
Der alte Priester schüttelte resigniert den Kopf, als hätte er es mit einem kleinen Kind zu tun. »Dann war alles, was wir getan haben, umsonst.«
»Das ist nicht wahr, das weißt du. Sie beginnt gerade, ihre Kräfte zu akzeptieren, da bin ich ganz sicher.«
»Du treibst den Teufel mit Beelzebub aus. Das ist eine Gratwanderung, die leicht außer Kontrolle geraten kann.«
Adrian verzog das Gesicht. »Früher oder später wäre sie von selbst darauf gekommen, welche Begabung sie besitzt. Südwest ist nicht Europa. Diese Dinge erscheinen hier in einem anderen Licht. Es fällt in diesem Land viel leichter, daran zu glauben, als anderswo. Außerdem – denkst du denn wirklich, die San hätten es nicht auch schon gespürt?«
Haupts Züge wirkten plötzlich eingefallen. »Sie war gestern bei den San, hier in Windhuk. Eine der Eingeborenen hat es mir erzählt. Dein Fräulein Muck hat sich lange mit Qabbo unterhalten.«
Allmählich formten die Ereignisse in Adrians Kopf ein logisches Muster. Je klarer es wurde, desto mehr angst machte es ihm. »Die San haben also ihre Chance genutzt, als Cendrine den Jungen bei ihnen ablieferte.«
»Deine Cendrine beginnt, uns ständig einen Schritt voraus zu sein.«
»Sie ist nicht meine Cendrine«, entgegnete Adrian heftig.
Haupt beachtete seinen Einwurf gar nicht. »Wir dürfen nicht zulassen, daß die San weiter den Kontakt zu ihr suchen.«
»Glaubst du wirklich, du kannst das verhindern?«
»Das beste wäre, sie würde wieder von hier verschwinden.«
Adrian schüttelte den Kopf. »Mutter mag zwar so tun, als würde sie nicht allzu viel von ihr halten, aber in Wahrheit mag sie sie. Und die Mädchen lieben sie, vor allem Salome.«
»Genau wie du.«
»Nun hör endlich auf damit!«
»Weißt du, worauf du dich da einläßt?«
»Wir haben uns beide darauf eingelassen, oder? Du, Jakob, genauso wie ich.«
***
Das einzige Café Windhuks befand sich in einem dreigeschossigen Haus an der Kaiser-Wilhelm-Straße, schräg gegenüber der Poststation. Cendrine war durch Zufall darauf
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