Göttin der Wüste
gestoßen, als sie ziellos durch die Straßen streifte. Die Kutsche würde sie erst um sechs am Bahnhof abholen, bis dahin hatte sie noch über eine Stunde Zeit. Vielleicht würde ein heißer Tee mit Zitrone ihr aufgewühltes Gemüt ein wenig beruhigen.
Die Besitzerin des Cafés gab sich große Mühe, einen Hauch von Europa durch den kleinen Raum wehen zu lassen. Die Stühle waren mit Plüsch bezogen, auf den Tischen lagen weiße Spitzendecken. In einer Ecke stand ein angeschlagener Flügel, auf dem niemand spielte. Bunte, nicht ganz geschmackssichere Gemälde von deutschen Promenaden und Plätzen hingen an den Wänden, auf denen feine Damen mit Sonnenschirmen und kleinen Hunden flanierten. Die Gardinen waren in Rosé und Himmelblau gehalten, der Kontrast zum schwermütigen Regenpanorama vor den Fenstern hätte kaum größer sein können. Eine Frau in schwarzer Trauerkleidung war neben Cendrine der einzige Gast; sie nippte schweigend an ihrer Tasse und aß mit steifen Bewegungen ein Stück Trockenkuchen. Der Anblick stimmte Cendrine trübsinnig, und sie entschied, lieber im Freien Platz zu nehmen.
Draußen, auf der schmalen Veranda zwischen Haus und Straße, standen zwei kleine Tische. Eine gestreifte Markise hielt den warmen Regen ab. Die einzige Kellnerin, ein scheues Mädchen mit weißer Haube und Spitzenschürze, bediente sie beflissen, aber wortlos; ihre Haut war unnatürlich weiß, so als hielte sie sich nicht oft im Freien auf. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Cendrine, daß das Mädchen ein Albino war. Ihre Augen waren hellrot wie Kirschen kurz vor der Reife.
Cendrine verbrannte sich die Zungenspitze, so heiß war der Tee. In Gedanken versunken beobachtete sie, wie die Regentropfen Pockennarben in den Schlamm der ungepflasterten Straße schlugen. Es gab so vieles, über das sie nachdenken mußte. Sie bemühte sich, ihre Gedanken in geordnete Bahnen zu lenken, aber immer wieder ergab sich nur ein schrecklicher Wirrwarr.
Fragmente von Haupts Ausführungen vermischten sich in ihrem Kopf mit Qabbos diffusen Andeutungen, mit dem, was Adrian gesagt hatte, und mit Szenen aus Selkirks Notizen.
Lange Kolonnen schwarzer Tagelöhner, die sich durch die glühende Leere der Wüste schlängeln … Berge von Leichen, Menschen, die verdurstet, verhungert oder vor Erschöpfung gestorben sind, und nun von anderen, die kaum lebendiger aussehen, im Sand verscharrt werden … die Ruinen Henochs, gigantische, vom Sand abgeschliffene Fassaden, die wie Hornplatten auf dem Gerippe eines Urzeitgiganten aus den Dünen ragen … und ein Wirbelsturm, mächtig genug, um eine ganze Welt zu verschlingen, der wie ein aufrecht stehender Riesenwurm durch die Sandmeere der Kalahari tobt, geführt von einer Gestalt in weißen Gewändern …
Ein junger Mann in Uniform kam auf der anderen Straßenseite aus dem Postgebäude. Im ersten Augenblick glaubte Cendrine, es wäre Valerian. Schon öffnete sie die Lippen, um seinen Namen zu rufen, als ihr klar wurde, daß er es nicht sein konnte. Adrians Bruder war wahrscheinlich gerade dabei, mit einer Spitzhacke einen Schützengraben in die Salzkruste der Omaheke zu schlagen. Der Mann auf der anderen Straßenseite, das sah sie jetzt, war zwar blond, hatte aber ansonsten wenig Ähnlichkeit mit Valerian. Der Regen hatte sie getäuscht; der Regen und ihre Verwirrung.
Weiße Gewänder, die Falten werfen wie verzerrte Gesichter und im Sturmwind Grimassen schneiden … der Schatten des einsamen Wanderers, weit vorgestreckt, aber in welche Himmelsrichtung? … Wohin geht er, was ist sein Ziel? … Der Sturm, der die Spur des Wanderers verheert, kilometerbreite Schneisen durch Dünen und Salzseen frißt … und wieder Selkirk, der sich mit funkelnden Klingen über seine Lieblingstochter beugt … glitzernde Schneiden, die einen See aus Blut teilen wie einst Jahwe das Rote Meer …
Der junge Soldat blieb vor einem San-Jungen stehen. Der Kleine saß im Schneidersitz unter dem Vordach der Poststation und bot den wenigen Passanten an, ihre Schuhe zu putzen. Kaum jemand nahm von ihm Notiz, kein Wunder bei diesem Wetter. Der Soldat aber beugte sich zu dem Jungen herab und wechselte einige Worte mit ihm. Dann nahm er auf einem Schemel Platz, während der kleine San daranging, mit Bürste und Lappen die Stiefel des Deutschen zu polieren.
Nachts das Geschrei der Hyänen … die Feuersbrunst im Dorf der Eingeborenen … der Mann und die Frau, schreiend und heulend, wie sie auf allen vieren aus der Glut springen
Weitere Kostenlose Bücher