Goettin meines Herzens
ich schicke dich mitsamt Gepäck nach Nightingale House zurück. Ich werde dir keine Träne nachweinen.“
„Ich denke, ich bin vor fünf Jahren gegangen, nicht vor sechs. Außerdem bin ich nicht auf deine Einladung hier, sondern auf die meines Großvaters. Also wirst du mich in den nächsten Stunden wohl einfach ignorieren müssen, nicht wahr? Da du bereits so viele Jahre Übung darin hast, sollte dir das nicht schwerfallen.“
„Du impertinenter Fratz! Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du die Schwelle dieses Hauses nie wieder übertreten. Es ist mir unbegreiflich, warum Papa deine Anwesenheit bei der Verlesung seines Testamentes zur Bedingung machte.“
„Auch ich kenne den Grund nicht, aber ich werde meine Neugier bis zu einem angemesseneren Zeitpunkt bezähmen.“ Miranda tat es nicht leid, sich die Antwort nicht verbissen zu haben, selbst als sie sah, wie ihre Tante darüber so sehr in Rage geriet, dass sie sogar aufstand, um selbst die Klingel zu läuten.
„Mrs. Braxton wird ihr Dinner in ihrem Zimmer einnehmen“, verkündete sie, als der Butler an der Tür erschien.
„Machen Sie sich keine Mühe, Coppice“, fuhr Lord Carnwood kühl dazwischen. „Mrs. Braxton weiß nur zu gut, wie viel zusätzliche Arbeit dies der Dienerschaft bereiten würde. Lady Clarissa hat die Müdigkeit, die Mrs. Braxton nach ihrer langen Reise verspüren muss, zweifellos überschätzt, nicht wahr, Madam?“
Lady Clarissa erwiderte den unergründlichen Blick des Earls mit kühlen grauen Augen, beugte sich jedoch schließlich seinem Willen, der noch unnachgiebiger war als der ihre. „Offensichtlich“, stimmte sie in einem Ton zu, als würde sie gleich an den Worten ersticken. „Sie können gehen, Coppice, oder ist das Dinner angerichtet?“
„Noch nicht, Mylady.“
„Dann sollten Sie besser herausfinden, was die Köchin und unsere Gäste aufhält, oder nicht?“
Lord Carnwood ließ ihr diesen harschen Befehl durchgehen. Der Blick, den Coppice ihm zuwarf und dessen kaum merkliches Kopfschütteln ließen Miranda ohnehin daran zweifeln, dass diese Anweisung ausgeführt werden würde.
Als sich die Tür hinter Coppice schloss, warf Lady Clarissa ihrer irregeleiteten Nichte einen solch gehässigen Blick zu, der die linkische Miranda, die sie vor fünf Jahren gewesen war, auf der Stelle in ihren seidenen Abendschuhen hätte erzittern lassen. Jetzt indes schenkte sie ihrer zornig dreinblickenden Tante lediglich ein unaufrichtiges Lächeln, ehe sie sich auf einem mit goldfarbenem Stoff bezogenen Stuhl vor dem prasselnden Feuer niederließ.
Sowohl Celia als auch Miranda keine Beachtung schenkend, verwickelte Lord Carnwood Lady Clarissa in ein floskelhaftes Gespräch. Verärgert stellte Miranda fest, dass sie gebannt dem tiefen Klang seiner Stimme lauschte und ihr keines seiner Worte entging. Deshalb empfand sie große Erleichterung, als sie endlich Stimmen in der Halle vernahm. Kurz darauf öffneten sich die Türen und der Anwalt ihres Großvaters wurde gemeinsam mit einem gut aussehenden Paar in den Salon geführt, das der Butler als Reverend Draycott und Gemahlin meldete.
Herzlich begrüßte der Earl of Carnwood seine Gäste, während Lady Clarissa diese lediglich mit einem steifen Nicken bedachte und Celia ganz und gar vorgab, in Gedanken zu weilen. Unfähig zuzusehen, wie man anderen Leuten ein solch unfreundliches Willkommen bereitete wie zuvor ihr, lächelte Miranda dem Anwalt freundlich zu.
„Mr. Poulson, ich hoffe, Sie haben sich von der langen Reise bereits ein wenig erholen können?“
„Soweit man das in meinem Alter erwarten kann“, antwortete der rundliche kleine Mann. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich nach all den Jahren an mich erinnern, Mrs. Braxton.“
„Da Sie uns Kindern immer Pfefferminzbonbons schenkten, wenn Sie Großvater besuchten, wie könnte ich Sie da vergessen, Sir.“
„Ja, das ist wahr! Das waren noch glücklichere Zeiten für uns alle, nicht wahr?“
„In der Tat – ich wünschte, man könnte die Zeit zurückdrehen.“
Für einen kurzen Augenblick erlaubte sich Miranda, sich dem Gedanken hinzugeben, was hätte sein können, wenn ihr Bruder nicht am Grippefieber erkrankt wäre und nach einem Schwächeanfall von einem Lehrer von der Schule nach Hause gebracht hätte werden müssen. Wenn sie nur ihrem Großvater geglaubt hätte, der ihr prophezeite, wohin ihre Vernarrtheit in Nevin Braxton, besagtem Lehrer, führen würde. Und wenn nur Jack nicht wenige Wochen
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