Goettinnensturz
Lieselotte gut eingearbeitet hatte, vermisste Berenike Hans und seine Musik immer noch mitunter. Der g’standene Ausseer war eben der perfekte Kellner gewesen. Er hatte nach den Mordfällen während des strengen Winters vor einem Jahr überraschend seinen Job gekündigt. Er hatte danach viel über einen alten Fehler nachgedacht und wie er diesen wiedergutmachen könnte. »Ich brauche eine Veränderung, einen harten Schnitt«, hatte er Berenike dann erklärt. Ein verdächtiges Glitzern in seinen Augen hatte sie davon abgehalten, nachzufragen. Seit seinem letzten Arbeitstag traf Berenike ihn kaum noch. Wie sie hörte, hatte er einen neuen Job in einem Hotel außerhalb des Ortes angenommen und gab nebenbei Flüchtlingskindern gratis Musikunterricht.
Lieselotte kam grüßend auf sie zu. »Servus, Berenike! Wie geht’s? Du hattest ja ein spezielles Erlebnis an deinem freien Tag, wie ich gehört habe.« Die Kellnerin trug eine ihrer lustigen Frisuren. Diesmal hatte sie ihre braunen Haare zu einem Dutt hochgesteckt, auf dem eine Haarspange in Form einer Katze thronte.
»Wem sagst du das, meine Liebe.« Zu Klängen von Nat King Cole zog Berenike sich um. Kleidung aus den Ländern des Teeanbaus war sozusagen Programm in ihrem Salon. Sie überlegte kurz und wählte dann einen Shalwar Kameez, einen indischen Hosenanzug. Während sie in das türkisfarbene Hemd und die dazugehörige weiße Baumwollhose schlüpfte, blickte sie aus dem Fenster. Dunkle Wolken zogen über den Loser herein, ließen es düster werden über dem See. Das erinnerte fast an den Winter der grausamen Morde.
Nun galt es, einen Mittagstisch zu kochen. Sie dachte nach, was sie anbieten konnte, doch irgendwie fiel ihr nichts ein. Kein einziges Rezept. Kein Gericht. Stattdessen immer nur die Bilder der toten Monika vor Augen, wie sie nass am Ufer gelegen war. Das konnte heute nicht gut gehen. Hans hätte sicher eine Idee gehabt, der war ein begnadeter Koch. Sei’s drum, dann musste sie eben selbst eine Auswahl treffen.
Berenike stapfte also in die Küche, öffnete die Eiskastentür und betrachtete die Vorräte. Nach dem Wochenende war nicht allzu viel übrig geblieben. Karotten, Sellerie, Lauch – dann eben Gemüsecremesuppe, das passte zum Vorfrühlingswetter. Rasch legte sie die Zutaten bereit und ging hinaus in den Teesalon, um Lieselotte Bescheid zu geben. Die schrieb das Tagesgericht umgehend mit Kreide an die Tafel hinter der Theke.
Eine Weile später köchelte die cremige Suppe fröhlich vor sich hin. Dass ihr Kochen einmal Freude bereiten würde, hätte Berenike früher nicht gedacht. Sich auf eine Sache konzentrieren, das war schon was.
Beim Gedanken an die Leiche fiel ihr etwas anderes ein. Berenike trat hinaus in den Gastraum. »Wo ist eigentlich mein Tarotdeck?«, fragte sie mehr sich selbst als Lieselotte. »Die Karten stecken in einem violetten Täschchen mit Glitzerperlen drauf. Hast du es nicht zufällig gesehen?« Lieselotte verneinte. Berenike fing an, in dem Regal unter der Theke zu kramen. Dort sammelte sich immer all das Zeug an, das keiner brauchte und nie jemandem abging. Ganz im Gegenteil zu jenen Dingen, die man dringend suchte. Wie jetzt. Ein intensiver süßer Duft stieg ihr in die Nase, erst nach einem Moment ordnete sie ihn dem Korb mit roten Äpfeln oben auf der Theke zu. Sie bemerkte Max, der gerade die Tür zum Salon aufstieß. Mit einem Knall fiel die Tür zurück in den Rahmen. Verwundert bemerkte Berenike, dass sich der Luftstoß warm anfühlte. Föhn. Das konnte ja noch heiter werden.
Sie richtete sich auf. »Servus, Max.«
»Griaß di, Berenike.« Der Wirt vom Grünen Kakadu war wie üblich in Tracht und zwinkerte ihr zu, während er seine breiten Schultern spielerisch lockerte.
»Wie immer, Max?«
»Bitte, ja. Dein Chai ist wirklich die reinste Poesie.« Er grinste übertrieben und stellte sich breitbeinig an die Theke. In einem früheren Fall hatte sie ihn einmal verdächtigt, mittlerweile waren sie gut befreundet.
Berenike machte sich am Wasserkocher zu schaffen, stellte eine erdfarbene kleine Teekanne und eine ebensolche Tasse bereit.
Max fuhr sich über die Wangen. Er wirkte ein wenig übernachtig, doch selbst jetzt sah er ziemlich gut aus, sehr männlich. Und das wusste er offenbar, denn er grinste selbstbewusst. »Na, Berenike, wie geht’s?« Seine Augen leuchteten, während er sich genüsslich streckte, als würde er aus süßem Schlaf erwachen.
»Frag mich das nicht einen Tag, nach dem ich eine
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