Goettinnensturz
Schlucken.
»Schon.« Berenike zuckte die Achseln. »Eine Weile zumindest. Irgendwann hatte ich genug von der Hektik.« Sie musste der fast Unbekannten nicht alles auf die Nase binden, die erlebte Gewalt genauso wenig wie den folgenden Zusammenbruch. »Jetzt bin ich froh, meine eigene Chefin zu sein.«
»Das hat was, gell? Übrigens – du kennst meinen Vater, glaub ich. Fabian heißt er.«
»Fabian, den Bergretter?«
»Genau, der ist mein Vater.«
»Ich hab ihn letzten Winter kennengelernt, als diese schreckliche Lawine vier Menschen mit sich gerissen hat.«
»Das waren keine natürlichen Todesfälle, hab ich gehört?«
»Zwei davon nicht, das hat sich später herausgestellt.«
»Mein Vater hat davon erzählt.« Franziska zeigte grinsend ihre Zähne, ihre Kiefer mahlten. Sie spielte mit dem Löffel, klimperte damit gegen die Tasse, trommelte auf die Untertasse, als wäre sie Teil eines Schlagzeugs. Eine Weile sahen sie beide Max dabei zu, wie er noch mehr Bier zapfte.
»Und jetzt haben wir einen neuen Mordfall. Hast du Kurt beim Zeltfest erlebt?«, fragte Berenike dann. »Er soll wahnsinnig eifersüchtig sein.«
»Tödlich eifersüchtig war er schon immer.« Franziska zuckte betont lässig die Achseln. »Was glaubst du, wer der Mörder war, Berenike? Oder dein schicker Polizeifreund, was denkt er? Wo ist er eigentlich?«
Etwas polterte laut, enthob Berenike einer Antwort. Die Tür zum Festsaal war aufgestoßen worden und gegen die Wand geschlagen. Der Gesang war kurz lauter zu hören, ehe die Tür zufiel. Ein grauhaariger Kerl in grün-grauem Trachtenanzug und Goiserern stapfte auf die Bar zu. Schräg sah er Franzi in ihrer Kostümierung an.
»Ah, Franzi. Was macht die Meisterklasse? Studium bei Vivienne Westwood!« Er tippte sich kopfschüttelnd an die Stirn, eine Strähne fiel ihm in die Augen. »Du spinnst ja, Franzi. – Max, eine Halbe noch, bitte schön.«
»Mach ich, Anselm.«
»Ich komm gleich zurück.« Der Trachtenmann wankte Richtung Toiletten.
»Berenike …«, fing Max an.
»Der alte Trottel weiß nicht, was er sagt«, murmelte Franziska und nahm die Tasse in die Hand. Sie setzte sie an die Lippen, merkte, dass sie leer war, drehte sie in den Händen hin und her.
»Wie wäre es«, schnurrte Max und lehnte sich zu Berenike, »ich habe morgen Ruhetag, wie wäre es, wenn wir was zusammen unternehmen?«
Franziska besah sich immer noch ihre Tasse, von allen Seiten, runzelte die Stirn, stand auf. Sie ging zur Tür, drehte sich um und mit einer plötzlichen Bewegung donnerte sie die Tasse gegen die Wand hinter der Theke.
»Oha, Franzi«, machte Max. »Schön ruhig bleiben.« Die Tasse schlug hinter ihm auf dem Boden auf. Berenike zuckte zusammen, glotzte Franziska nach, hinter der bereits die Tür zufiel. Max bückte sich nach der Tasse, hob sie auf. »Heil geblieben, nur der Henkel ist ab, na so was. Und Berenike, wie sieht’s aus?«
»Netter Vorschlag, Max.« Sie stockte. Vielleicht wäre es gut, rauszukommen. Vielleicht – irgendwann. Später. Wenn dieser Fall geklärt war. »Nur hab ich keine Zeit. Tut mir leid.« Und das tat es wirklich.
MÖRDERISCHES LOGBUCH – EINTRAG 4
Und dann ist es vorbei. Einfach vorbei. Ganz plötzlich.
Dann ist sie tot und du weißt nicht mehr, wie es gekommen ist.
Du hast es getan. Du hast es tatsächlich getan.
Du stehst da und plötzlich fehlt dir jedes Gefühl. Außer dem, dass die Tote zu stinken anfängt. Und dass du irgendwas tun musst, das weißt du. Damit du nicht auffliegst, damit alles weiter seinen Gang geht. Hast dir nicht überlegt, was mit dem toten Körper geschehen soll.
Du musst was tun.
Nur: was?
11
Telefon. In der Dunkelheit der Nacht. Unbarmherzig, schrillend wie ein Schuss. Berenike fiel aus dunkelsten Träumen zurück ins Jetzt, fühlte sich, als würde ihre Seele hart auf dem Boden aufkommen, als würde ein schwarzer Ball auf weichem weißem Grund platzen.
Sie wartete, hörte Regen ans Fenster trommeln, der das Läuten fast übertönte. Knipste die Nachttischlampe an, die rosigen Schein auf das Bett warf, und streckte die Hand nach dem Telefon auf dem Nachtkästchen aus. Ein leichtes Zwacken in der Hand – Miss Marple, die neben dem Polster lag, hatte sie gebissen.
Mit der anderen Hand krallte Berenike endlich das Mobiltelefon. Unterdrückte Rufnummer. Auch das noch. 3 Uhr 57 brüllten ihr die Leuchtzahlen des Weckers entgegen. Vielleicht war es Jonas, die Dienststelle hatte eine geheime Rufnummer. Berenike
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