Gold
ich habe ein Problem mit Beziehungen. Ich habe dir erzählt … ich habe allen erzählt, ich wäre ein Einzelkind, aber das stimmt nicht. Ich hatte einen Bruder und habe ihn mit zehn Jahren verloren, daher … du weißt schon. Langweilige alte Geschichte. Wenn Menschen mir zu nahe kommen, stoße ich sie weg. Es tut mir leid.«
»Gott, nein, mir tut es leid. Oh, Zoe, das hättest du doch erzählen können.«
Zoe sah auf. Sie hatte Tränen in den Augen, aber dann wechselte der Pianist zu Kenny Loggins’ Danger Zone, spielte grandioso , und sie musste lachen.
»So was erzählt man nicht einfach, oder? Du bist die Erste, der ich es gesagt habe.«
»In Manchester?«
»Und auf jedem anderen Planeten.«
»Weiß Tom Bescheid?«
Zoe runzelte die Stirn. »Es hat nichts mit meiner Leistung zu tun.«
»Trotzdem, vielleicht solltest du es ihm besser erzählen.«
»Es ist etwas, das man seiner besten Freundin erzählt.«
Zoe wartete auf ihre Reaktion. Bevor Kate etwas sagen konnte, kam ein Kellner und stellte ihre Teller mit silbernen Servierhauben auf den Tisch. Mit einer dramatischen Bewegung nahm er die Hauben ab, verbeugte sich leicht und glitt davon. Auf jedem Teller lagen einhundertfünfzig Gramm gedämpfter Wildreis, sechzig Gramm gehackte Rosinen, hundert Gramm Dosenthunfisch im eigenen Saft und ein karobüberzogener ProteinPlus Power-Riegel in blau-gelber Verpackung.
Kate schaute das Essen ungläubig an.
Zoe grinste. »Ich habe Tom gefragt, was heute auf deinem Speiseplan steht. Ich wusste, dass dich die Speisekarte in Angst und Schrecken versetzen würde.«
Kate starrte Zoe an, während der Pianist ein Intermezzo mit barocken Variationen der Titelmelodie von Knight Rider bot.
»Was ist?«
Kate betrachtete sie einen Moment lang und schüttelte dann lächelnd den Kopf. »Nichts. Bon appétit .« Es war einfacher, als zu erklären, dass es in den seltenen Momenten, in denen Zoe ihr kein ernsthaftes seelisches Unbehagen verursachte, geradezu schwindelerregend wunderbar war, mit ihr befreundet zu sein.
Genau daran musste Kate denken, als sie gemeinsam im Krankenwagen in die Notaufnahme fuhren.
»Alles in Ordnung, Zoe? Ganz ehrlich, meine ich.«
Zoe schaute auf ihren schwer lädierten Unterarm und dann wieder zu Kate.
»Ja, das heilt schon wieder«, erwiderte sie leise.
Wohnung 12, The Waterfront, Sport City, Manchester
Als die Mädchen die Wohnung verlassen hatten, war Tom müde. Er holte seine Prothese aus der Toilette, schrubbte sie mit Bleichmittel, spülte sie ab und setzte sie wieder ein. Dann klebte er die Wohnungstür mit Isolierband zu und legte die Kette vor. Er setzte sich vor den künstlichen Kamin und gönnte sich zwei Nurofen und ein kleines Glas Rotwein für seine Gelenke.
Er erwachte von seinem eigenen Schluchzen. War orientierungslos. Trotz der steifen Knie schaffte er es in die Küche und setzte Teewasser auf.
Er atmete durch. Alles in Ordnung. Alles in Ordnung. Da waren die blau-weißen Keramikfliesen. Hier die alte Arbeitsplatte mit den Ringen und Kratzern, die man mit dem Finger nachfahren konnte. Alles in Ordnung. Er durfte diese Träume nicht als Beleg für seine Verdammnis betrachten. Es waren einfach nur blöde Neuronen, die knisterten und zischten wie abgebrühte alte Klatschtanten.
Insgesamt gesehen musste er sich nicht schuldig fühlen. Er hatte ein anständiges Leben geführt, kein Zweifel. Nach seinen eigenen Olympia-Erfolgen hätte er in Australien bleiben und es sich ein paar Jahre lang gutgehen lassen können, aber das hatte er nicht getan. Er hat eine gute Entscheidung getroffen; war hergeflogen, um ein neues Leben als Trainer zu beginnen. Er hatte auch eine Familie gegründet, was nicht funktioniert hatte, aber dann war ihm die Idee gekommen, dass er den Schaden gutmachen könnte, indem er anderen Kindern half.
Er konnte sich kaum noch an seinen Jungen erinnern. Vielleicht war das ein gutes Zeichen. Irgendwann wogen die guten Dinge, die man getan hatte, die schlechten und sogar die Erinnerungen auf.
Er hatte als Trainer bei den Junioren angefangen und, als in den Achtzigerjahren die BMX-Räder aufkamen, großen Erfolg gehabt. BMX, das war wie in einem Zeichentrickfilm – lauter Kinder mit großen Helmen, deren Beine wie kleine Kolben auf und nieder rasten. Bei den Rennen griff er kaum ein, dafür umso gründlicher zwischen den Wettbewerben, um etwas über die Vergangenheit der Kinder herauszufinden und sie mental zu stärken. Die Psyche eines Kindes war hundertmal
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