Goldener Bambus
wären nach Maos Gedichten benannt. Krabben mit Ingwer und Wein würde ›Eroberung der Hauptstadt Nanjing‹ heißen, und Entenbraten mit Weizenfladen ›Triumph des Herbstaufstands‹.«
»Und Chilischote mit frittierten Froschschenkeln nennen sie ›Die Geburt der Volksrepublik‹.« Kaiser Kohlkopf und seine Blutsbrüder freuten sich wie Kinder.
Mir gingen noch ganz andere Phantasien durch den Kopf. Vielleicht gewann Pearl ja Maos Herz, wenn sie ihm ihre Übersetzung von
Alle Menschen sind Brüder
zeigte, eines von Maos Lieblingsbüchern. Er glaubte sicher, dass Pearl seine Leidenschaft für bäuerliche Helden teilte.
Im Geiste hörte ich, wie Mao Pearl »Meine Genossin!« nannte. Mao würde sein Alter vergessen, seine Zahnschmerzen, seine brennenden Augen und seine steifen Gelenke. Er würde Pearls Hand nehmen und ihr sagen, dass
Alle Menschen sind Brüder
ihn dazu inspiriert hatte, Revolutionär zu werden. Um ihre Gunst zu gewinnen, schilderte er Pearl, wie er zum modernen Kaiser von China geworden war. Wobei er natürlich davon ausging, dass sie die Geschichte an Nixon weitererzählte.
»Das Volk, nur das Volk ganz allein ist der Schöpfer der Geschichte«, äffte Zimmermann Chan Maos berühmtes Zitat nach. »Pearl wäre geschmeichelt.«
»Das glaube ich nicht«, hielt Lilac dagegen. »Pearl wird Mao nicht mögen.«
»Sie kann froh sein, dass Mao
Die gute Erde
noch nicht gelesen hat«, sagte ich. »Sonst wüsste er, dass Pearl nie eine Genossin wird. Nichts, was Mao sagt oder tut, wird ihre Meinung ändern. Und ich glaube auch, dass Mao von Pearl enttäuscht wäre. Er würde merken, dass Pearl zwar seine Sprache spricht und seine Kultur kennt, ihn aber niemals so verehren würde wie die Chinesen. Pearl würde seine Fehler sehen. Sie könnte zu Maos Albtraum werden.«
»Warten wir’s ab«, sagte Papa. »Vielleicht weckt der Wein den Dichter in Mao. Er könnte seine Tuschefeder nehmen und für Pearl die Kalligraphie eines Couplets zeichnen. Pearl würde den Rhythmus seiner Verse loben, denn sie könnte den Klang des alten Chinesisch heraushören.«
»Mao lädt Pearl bestimmt zum nächtlichen Tee ein«, sagte Kaiser Kohlkopf nickend.
»Pearl würde ablehnen«, erwiderte Rouge. »Und sie würde sagen: ›Präsident Nixon erwartet mich.‹«
»So eine Zurückweisung wäre schlimmer, als wenn Nixon eine Atombombe auf China wirft«, stimmten alle überein.
Der Stadt kam eine Aufgabe von nationaler Bedeutung zu. Als örtlicher Parteichef erhielt Zimmermann Chan Anweisungen von ganz oben. Die Erste kam von Premier Zhou Enlai mit der Aufforderung, Chinkiang für Pearl Bucks Heimkehr herzurichten.
»Bereitet euch darauf vor, die Stadt dem amerikanischen Präsidenten Nixon zu zeigen«, lautete diese Nachricht.
Die Zweite stand im Widerspruch dazu. Darin wurden die Bewohner aufgefordert, mit den Ermittlern Madame Maos zusammenzuarbeiten. »Es ist an der Zeit, die Verbrechen, die Pearl Buck und ihre Eltern an China und dem chinesischen Volk verübt haben, zu enthüllen«, hieß es in der Nachricht.
Wegbereiter sah seine Chance gekommen, die Parteiführung in Chinkiang zurückzugewinnen, und verriet die Existenz der Untergrundkirche. »Absaloms Geist lebt nicht nur, er wiegelt auch weiter das Volk gegen Mao und den Kommunismus auf«, behauptete er.
Die kommunistische Zeitung
Volksblatt
veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel: »Die Nobelpreisgewinnerin verdient Geld mit der Beleidigung Chinas.« Von Zimmermann Chan erfuhren wir, dass Madame Mao den Besuch der amerikanischen Gäste in Chinkiang verhindert hatte.
Heimlich brachte Zimmermann Chan das konfiszierte Radio wieder in seinen Besitz. Er und Papa lauschten der »Stimme Amerikas« und erfuhren zwischen den Zeilen, dass Nixons Delegation nächste Woche nach China kommen würde. Aber auch, dass die chinesischen Machthaber Pearl Buck ein Einreisevisum verweigert hatten.
Zimmermann Chan setzte eine Petition auf, die alle in der Stadt unterschrieben und die an Premier Zhou Enlai geschickt wurde.
»Pearl Buck ist in Chinkiang aufgewachsen«,
hieß es in der Petition
. »Sie hat das Recht, das Grab ihrer Mutter zu besuchen, und wir als Nachbarn und Freunde haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass ihr Wunsch erfüllt wird.«
Nie zuvor hatte die ganze Stadt geschlossen ein gemeinsames Ziel verfolgt. Wir kämpften nicht um das Besuchsrecht von Pearl Buck, sondern um unser eigenes Leben und die Zukunft unserer Kinder. Seit Beginn der
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