Goldener Bambus
es hieß, den Sender des Feindes zu hören. Er ohrfeigte Wegbereiter und bespritzte ihn mit Wasser. »Chef! Wach auf! Wir müssen gehen!«
Wegbereiter lag wie ein feuchter Schlammhaufen reglos da.
»Wir sitzen in der Falle!« Seewolf wurde hysterisch. »Das werde ich melden!«, sagte er zu Papa.
»Nur zu!«, erwiderte Papa. »Vergessen Sie aber nicht zu sagen, dass Wegbereiter hier ist, weil er uns unterstützt. Er war von der ›Stimme Amerikas‹ und Pearl Buck so begeistert, dass er sich betrunken hat. Das können alle hier bezeugen.«
32 . Kapitel
O
bwohl Wegbereiter Papas Radio konfiszierte, verlor er seine Stellung. Sein Nachfolger als Sekretär der Kommunistischen Partei von Chinkiang wurde Zimmermann Chan. Der wollte den Posten zwar nicht, doch Papa überredete ihn zur Annahme, denn er fand, um das Werk Gottes zu verrichten, brauchte man Informationen und Intelligenz. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir das monatliche Rundschreiben der Kommunistischen Partei besorgen könnten.«
Papas Klugheit machte sich bezahlt. In dem
Interne Informationen
genannten Rundschreiben wurden Veränderungen der politischen Wetterlage Chinas prognostiziert. Papa verschlang jede Ausgabe. Er analysierte die Artikel und suchte Hinweise auf mögliche Kurswechsel, besonders hinsichtlich Maos Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten.
Im Juli 1971 entdeckte Papa die briefmarkengroße Ankündigung eines besonderen Gastes von Mao. Sein Name war Henry Kissinger.
»In Maos Topf brodelt es!«, sagte Papa zu Zimmermann Chan.
Drei Monate später las Papa, dass China Mitglied der Vereinten Nationen geworden war.
»Sie arbeiten an einem Abkommen«, prophezeite er.
Papa und Chan wussten als Erste in der Stadt, dass Präsident Nixon einen Chinabesuch plante. Außerdem lernten wir in
Interne Informationen
, dass es innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas zwei mächtige Fraktionen gab. Die eine Fraktion, von Madame Mao angeführt und Ehefrau-Partei genannt, sollte die Kulturrevolution im Sinne Maos fortsetzen. Die zweite Fraktion, die Premier-Partei mit Premier Zhou Enlai an der Spitze, war für die Wirtschaft zuständig. Beide Fraktionen konkurrierten um Maos Gunst.
Der Wettstreit nahm an Intensität zu, als Nixons Besuch öffentlich angekündigt wurde. Eine Gruppe von Ermittlern kam nach Chinkiang. Wir hatten keine Ahnung, dass der Grund dafür Nixons Entscheidung war, Pearl Buck als Begleiterin nach China mitzunehmen. Diese bedeutsame Nachricht erfuhren wir erst später.
Papa diskutierte bei Kerzenlicht mit den Mitgliedern der Guerillakirche. »Die ganze Welt wird auf Nixon starren, wenn er kommt«, sagte Papa mit leuchtenden Augen. Jede einzelne seiner Gesichtsfalten war in Bewegung. »Stellt euch das nur mal vor – unsere Pearl macht Nixon in perfektem Mandarin mit Mao bekannt, und Mao mit Nixon auf Englisch!«
Die Frage war nur: Würde Madame Mao das zulassen? Würde sie eine andere Frau in der Rolle tolerieren, die ihrer Ansicht nach ihr zustand?
»Hunderte von Kameras werden klicken und blitzen«, fuhr Papa fort. »Madame Mao wird eifersüchtig auf Pearl sein, die zwischen Mao und Nixon steht.«
»Zudem könnte Mao Interesse an Pearl zeigen, genau wie an der Frau des philippinischen Präsidenten Marcos«, warf Zimmermann Chan ein. »Ich hab den Filmbericht gesehen, wo Mao der Dame die Hand küsst.«
Es würde mich nicht wundern, wenn Mao von Pearl entzückt wäre. Ich stellte mir meine Freundin in schicken Kleidern vor, schön und elegant wie Carie. Mao würde ihr Fragen auf Hunanesisch stellen, seinem Heimatdialekt, und Pearl würde ihm in Hunanesisch antworten. Ich wusste, dass sie neben Mandarin noch viele andere Dialekte sprach. Es wäre geradezu natürlich, wenn Mao Pearl zu einem Privatbesuch einlud, wie er das mit vielen berühmten chinesischen Schauspielerinnen, Dichtern und Romanschriftstellern zuvor getan hatte.
»Vielleicht bietet Mao Pearl eine persönliche Führung durch die Verbotene Stadt an«, meinte Papa. »Ich sehe die beiden schon den Kaiserlichen Langen Korridor entlangspazieren, wo Tzu Hsi, die letzte Kaiserin, täglich nach dem Abendessen wandelte. Mao würde ihr sicher die Geschichte Chinas erzählen.«
»Vielleicht schlägt er ihr einen Besuch der Chinesischen Mauer vor«, sagte Zimmermann Chan, »und sie lassen sich in einer Sänfte tragen.«
Lilac nickte. »Bestimmt lädt Mao sie zum Abendessen in den Kaiserlichen Sommerpalast ein.«
»Bestimmt«, sagte Papa. »Alle Gerichte
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