Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
Vom Netzwerk:
›Stimme Amerikas‹ gehört haben.«
    Eine Woche später hörte Papa auf zu atmen. Wie eine reife Melone hatte er lange an seiner Ranke gehangen und war schließlich abgefallen. Das Kinn auf der Brust, saß er unter einem Baum vor dem umgewandelten Kirchengebäude und sah aus, als ob er schliefe.

5 . Teil
    33 . Kapitel
    Ü
ber Nacht wurden die Parolen »Nieder mit den amerikanischen Imperialisten« durch »Willkommen Amerikas Präsident Nixon« ersetzt. Schaufensterpuppen, die in sämtlichen Schulen des Landes für militärisches Bajonett-Training in US -Armeeuniformen gesteckt worden waren, verschwanden. Kinder mussten »Willkommen« und »Wie geht es Ihnen?« auf Englisch lernen.
    Als Präsident Nixon in China landete, säumten Kinder die Straßen vom Flughafen bis zum Hotel, in dem er wohnte. Jedes Kind hatte Papierblumen bekommen und war aufgefordert worden, so zu lächeln, dass man die Zähne sah.
    Zimmermann Chan erhielt die eilige Depesche, Nixon würde Chinkiang besuchen und Pearl Buck ihn begleiten.
    Die Stadt pulsierte vor Erwartung.
    Ich bedauerte, dass Papa das nicht mehr erleben konnte. Er hätte den amerikanischen Präsidenten begeistert willkommen geheißen – und mehr noch die Tochter seines geliebten Absalom.
    Die Mitglieder der Guerillakirche zählten die Stunden und dann die Minuten. Morgens kam die Staatspolizei, um die Stadt zu sichern. Alle Menschen mussten in den Häusern bleiben, bis sie herausgerufen wurden. Während die Männer Nachrichten und Informationen austauschten, bereiteten die Frauen Pearls Lieblingsessen vor. Alle Familien trugen etwas dazu bei. Wir weichten Sojabohnen und Reis ein, bereiteten Dämpfbrötchen und Yamswurzeln zu und brachten unsere eingelegten Rettiche und das getrocknete Fleisch mit, das normalerweise fürs neue Jahr reserviert ist. Den ganzen Tag über wurde hörbar Gemüse zerkleinert, und es roch durchdringend nach in Knoblauch gerösteten Erdnüssen. »Pearl wird unser Essen schon von weitem riechen, wenn sie kommt«, sagte Lilac.
    Trommelwirbel und Chinas Nationalhymne kündigten die Ankunft der amerikanischen Gäste an. Ich wusch mir die Hände, kämmte meine Haare und zog die blaue Mao-Jacke über. Rouge wollte mich begleiten, doch ihr Chef hatte es ihr nicht erlaubt. Als Dicks Tochter wurde sie schlecht behandelt.
    Ich war nervös und angespannt. Inzwischen hatte ich große Zweifel, dass meine Freundin mit nach China gekommen war, weil sie in keiner Zeitung abgebildet worden war. Es gab Fotos von Mao und Nixon, wie sie sich die Hände schüttelten. Und von Madame Mao, deren großer, breit lächelnder Mund einem weißen Segelboot ähnelte. Aber keine Pearl. War es dumm von mir gewesen, zu glauben, man würde sie einreisen lassen?
    »Ist Pearl bei Nixon oder nicht?«, fragte ich Zimmermann Chan immer wieder.
    »Ich weiß es nicht«, war Chans Antwort.
    Ich hatte nur für diesen Moment gelebt. Es war, als hinge mein Leben davon ab. Doch jetzt bekam ich Angst. Ich stellte mir vor, was Madame Mao getan haben könnte, um Pearl von China fernzuhalten. Dicks Schicksal bewies, dass man ihre Macht nicht unterschätzen durfte.
    Und doch konnte ich die Hoffnung nicht aufgeben. Ich war vor Sonnenaufgang aufgestanden und über die sanft geschwungenen Hügel zu unserer Lieblingsstelle gegangen, wo Pearl und ich immer gespielt hatten, hatte mich ins Gras gelegt und die Augen geschlossen. Der Duft von Jasmin war von unten heraufgestiegen und hatte alte Erinnerungen geweckt. Ich hatte die hellen, blauen Augen meiner Freundin vor mir. Sie sahen mich stumm an.
    Mir kamen die Tränen bei der Vorstellung, dass wir uns fremd geworden waren. Vielleicht erkannte sie mich gar nicht wieder. Vielleicht hatte sie mich vergessen. Aber eine andere Stimme in meinem Kopf sagte: »Ihr werdet euch immer wiedererkennen.« Wir würden dort anknüpfen, wo wir aufgehört hatten. Ich könnte ihr alles über China erzählen, was sie wissen wollte.
    »Erzähl mir, wie du Dick gefolgt bist und was dann geschah«, würde Pearl sagen. Sie wusste, dass Dick Maos rechte Hand gewesen war.
    Oder vielleicht würde sie auch nicht fragen. Meine Freundin gehörte zu den Menschen, die keine voreiligen Schlüsse zogen. Bestimmt hatte sie von Maos Verfolgungen gehört und sich gefragt, was mit Dick passiert war. Verglichen mit Hsu Chih-mo hatte Dick ein hitziges Temperament und einen starken Charakter. Obwohl er versucht hatte, mit den Wölfen zu heulen, war er für Mao zu ehrlich gewesen und hatte nicht

Weitere Kostenlose Bücher