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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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Kulturrevolution wurden all jene denunziert, deren Pfad den von Absalom und Carie gekreuzt hatte, und man machte ihnen das Leben schwer. Die schlimmsten Geschehnisse lagen zwar Jahre zurück, doch die Erinnerungen waren noch frisch. Einige Leute waren stärker betroffen als andere, aber alle hatten Geschichten zu erzählen. Ich erinnerte mich noch gut, wie der Teenager-Mob, der sich selbst Maos Rote Garde nannte, bis nach Bejing gekommen war, um Pearl Bucks »bösen Einfluss auszumerzen«. Da ich bekanntermaßen die Überbringerin von Hsu Chih-mos Briefen an Pearl gewesen war, holten sie mich aus dem Gefängnis und zerrten mich zu einer öffentlichen Versammlung. Dort hingen mir die Jugendlichen ein Holzschild mit der Aufschrift » KUPPLERIN « um den Hals, und forderten mich auf, Hsu Chih-mos Beziehung mit Pearl preiszugeben. Zudem wurden Pearls ehemalige Studenten terrorisiert und gezwungen, mich zu denunzieren. Einer berichtete, dass ich Pearls beste Freundin und Caries Adoptivtochter war. Andere erzählten, ich hätte versucht, Hsu Chih-mo Pearl abspenstig zu machen.
    Die Rote Garde fand Absaloms Grab nahe Chinkiang und verwüstete es. Sie zertrümmerten den Stein, dessen Inschrift Absaloms Leben im Dienste Gottes würdigte. Die Rote Garde suchte auch Caries Grab, doch Lilac hatte den Stein umgesetzt – so zerstörten sie nicht Caries Grab, sondern ein anderes.
    Lilacs Söhne mussten ihren Namen ändern. Doppeltes Glück David und John hießen jetzt Nieder mit Christus und Krieg dem Gott, dreifaches Glück Salomon hieß Loyaler Maos.
     
    Als die Rote Garde Kaiser Kohlkopf und seinen Blutsbrüdern befahl, eine Christusfigur zu zerschmettern, explodierten die ehemaligen Kriegsherren. Sie rissen sich die Holzschilder mit den antichristlichen Sprüchen vom Hals und zertrümmerten diese stattdessen. Als man sie einsperren wollte, flohen sie in die Berge.
    Papa riskierte es, Absaloms handgemalte Christusbilder hinter einem wandhohen Porträt von Mao zu verstecken. Als Zimmermann Chan und seine Arbeiter erfuhren, dass die Rote Garde die Kirche niederbrennen wollte, verwandelten sie die Kirche in ein »Bildungsmuseum« und bemalten sämtliche Flächen mit Maos Porträt. Die Skulpturen von Christus und den Heiligen wurden mit der Aufschrift: »Die negativen Lehrer« versehen in Kästen ausgestellt. Um sie vor Besudelungen zu schützen, wurden sie in rote Bänder eingewickelt, die mit Parolen wie »Lang lebe der Vorsitzende Mao!« und »Salut Madame Mao« beschriftet waren.
    Das Schlimmste für Papa war, dass sich einige Mitglieder aus der Gemeinde zurückzogen. Obwohl er verstand, dass sie unter Druck und aus Angst handelten, empfand er das als Niederlage. Ihre Antwort auf seine Drohung, sie würden in der Hölle landen, erschütterte ihn: »In der Hölle wird es besser sein als hier.«
    Viele Jahre lang galt Chinkiang als von der »christlichen Seuche« infiziert, so dass man beschloss, die Stadt einer gründlichen Säuberung zu unterziehen. Obwohl Wegbereiter mit gutem Beispiel voranging und das Christentum denunzierte, folgten ihm nur wenige. Viele nannten ihn den »Judas von Chinkiang«. Die Polizei entdeckte in Mao-Bücher gehüllte Bibeln und Christusfiguren aus Lehm, die in Reissäcken versteckt waren. Während des chinesischen Neujahrs hörte man Weihnachtslieder, und jedes Jahr im Frühling blühten Blumen auf Caries Grab. Wenn Kinder mitten in der Nacht aufstanden, um Pipi zu machen, stolperten sie über ihre knienden Eltern, die im Dunkeln beteten. Da es keinen gemeinsamen, sicheren Ort zum Beten gab, besuchte Papa trotz seines Alters bei Wind und Wetter die Gemeindemitglieder zu Hause.
     
    Schließlich forderte das Alter seinen Tribut: Papa brach auf einer seiner Gebetsrunden zusammen. Rouge und ich eilten an seine Seite. Als er aufwachte, erzählte er, er hätte Absalom getroffen.
    »Alter Lehrer reitet immer noch auf seinem Esel«, sagte er.
    »Hast du ihn gefragt, ob er mit deiner Arbeit zufrieden ist?«, fragte ich ihn grinsend.
    »Ja.«
    »Was hat er denn geantwortet?«, wollte Rouge wissen.
    Papa atmete ein paarmal tief durch, bevor er sagte: »Absalom hat geweint, was nicht gerade typisch für ihn ist. Wegen Pearl.«
    »Pearl?«
    »Absalom bedauerte, dass er keine Zeit gehabt hatte, ihr ein guter Vater zu sein.«
    »Und was hast du geantwortet?«, wollten Rouge und ich wissen.
    »Ich hab ihm gesagt, dass er stolz auf Pearl sein kann, weil sie seine Arbeit fortführt – dass wir sie alle in der

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