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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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leiten.
    2 . Dezember 1915
    Liebe Pearl,
    Du wirst es nicht glauben, aber ich schreibe Dir aus Shanghai. Und das ist der Grund: Mein Mann hatte mich entführt. Er betrachtete mich noch immer als sein Eigentum und verschwieg mir, dass er mich verkauft hatte. Erinnerst Du Dich, dass ich mich gewundert hatte, woher er das Geld für eine neue Konkubine hat?
    Jedenfalls war ich weggelaufen und hatte mich in der Kirche versteckt. Mein Mann und seine Helfer suchten mich. Sie schlugen Papa zusammen, weil er sich weigerte, mein Versteck zu verraten. Schließlich fanden sie es doch heraus, brachen nachts in die Kirche ein und nahmen mich mit. Carie schickte Absalom eine Nachricht, und er legte sofort Beschwerde beim Gouverneur ein. Er sagte, meine Entführung sei ein Verstoß gegen das Vertragsabkommen. Am nächsten Tag befahl der Gouverneur meinem Mann, mich freizulassen, sonst würde er verhaftet und geköpft!
    Doch ich fühlte mich nicht sicher, weil sich mein Mann bestimmt einen anderen Plan ausdenken würde, mich zu entführen. Papa sah nachts verdächtige Gestalten um unser Haus herumschleichen. Carie fand es eine gute Idee, dass ich Chinkiang für eine Weile verlasse, und schrieb mir eine Bewerbung für die christliche Schule in Shanghai. Die hat mir dann ein Stipendium angeboten. Ich bin wahrhaftig von Gott gesegnet.
    24 . März 1916
    Liebe Pearl,
    wer würde jemals glauben, dass das »Paris des Ostens« auf Sand gebaut ist? Dabei besagt das sogar der alte Name der Stadt. »Shang-hai-tan« bedeutet: eine Sandbank an der Mündung des großen Jangtse. Kaiser Guang-hsu hielt die Stadt für ziemlich wertlos, wurde mir gesagt. Seine kaiserliche Meinung hat sicher den Ärger verringert, als er gezwungen wurde, sie nach der Niederlage im zweiten Opiumkrieg an Ausländer abzutreten. Was die Engländer, Franzosen und Deutschen alles aus der Sandbank, meiner neuen Heimat, gemacht haben!
    Aber was schwärme ich von Shanghai, wo Du es doch selbst kennst. Ich habe nicht vergessen, dass Du einmal hier gewohnt hast. Ich stelle mir sogar oft vor, wo Du überall gewesen sein könntest und wo es Dir am besten gefallen hat. Bitte vergib mir, dass ich meine Gedanken trotzdem mit Dir teile, aber ich habe sonst niemanden.
    Die christliche Schule ist perfekt für mich. Ich besuche so viele Klassen wie möglich. Die Lehrer sind alle sehr hilfsbereit, manchmal bleiben sie noch nach dem Unterricht, um meine vielen Fragen zu beantworten. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so viele Bücher gibt, so viel zu lernen.
    Auch die Studenten sind nett. Am Anfang war ich in ihrer Gegenwart unbeholfen und schüchtern. Ich fühlte mich wie ein Landei und hatte nicht einmal gewusst, dass die Mandschu-Dynastie gestürzt worden war! Und es gibt noch so viel mehr zu wissen! Aber ist es nicht wunderbar, dass wir keinen Kaiser mehr haben und China bald eine Republik wird!
    Meine ersten Wochen in der Schule kommen mir schon ganz lange her vor. Ich fühle mich hier immer mehr zu Hause und habe schon ein paar Freundschaften geschlossen. Natürlich nicht so wie mit Dir. Aber es gibt sehr intelligente Menschen, und die Luft ist wie elektrisiert. Am interessantesten sind die Künstler, Schriftsteller, Journalisten und Musiker. Sie haben sich zu einer lockeren Gruppe zusammengeschlossen und treffen sich in bestimmten Kneipen und Restaurants, reden und trinken und diskutieren ohne Ende. Und ich habe mich ihnen angeschlossen. Ich finde das alles ganz aufregend und so anders als unser Leben in Chinkiang.
    Dr. Sun Yat-sen gehört auch zu der Gruppe. Im Alleingang führt er die neuen Republikaner bei der Aufgabe an, China zu verändern. Er ist Christ und ursprünglich Kantonese. Bevor er Revolutionär wurde, war er Arzt. Er hat eine westliche Erziehung genossen und Politikwissenschaft studiert. Dann war er in Japan, um sich anzusehen, wie die Mingji-Reform das Land verändert hat. 1911 ist er zurück nach China gekommen und hat einen Militäraufstand organisiert.
    Pearl, Du siehst, mein Horizont erweitert sich mit Lichtgeschwindigkeit. Wenn ich Carie nicht versprochen hätte, den Sonntagsgottesdienst zu besuchen, würde ich nicht hingehen. Mein Magen ist voll, doch mein Geist ist hungrig.
    Deine Mutter fehlt mir, und ich werde immer in ihrer Schuld stehen. Vor zwei Tagen habe ich Grace besucht, um ihr das Päckchen von Deiner Mutter zu bringen. Deine Schwester entwickelt sich zu einer hübschen jungen Dame. Sie ist sehr freundlich, aber im Vergleich zu Dir ein wenig

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