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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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zwölf Meter hoch. Der Jangtse floss an der Stadt vorbei weiter Richtung Chinkiang.
    »Ich liebe die gewundenen Straßen mit Kopfsteinpflaster und die kleinen Läden, die abends im Kerzenlicht erstrahlen«, sagte Pearl. »Mir gefallen die flackernden Öllaternen, die die Straßen erhellen. Ich stelle mir immer vor, wie die Familien innerhalb dieser alten Mauern leben.«
    Nachdem ich mich in meiner kleinen Wohnung nahe des Verlagsgebäudes eingerichtet hatte, besuchten wir uns regelmäßig. Pearl wohnte in einem Ziegelsteinhaus mit drei Zimmern, das verglichen mit den Häusern anderer Ausländer bescheiden war. Es befand sich auf dem Universitätsgelände, wo hauptsächlich Mitglieder des Lehrkörpers wohnten. Lossing lebte jetzt seit vier Jahren hier. Wie Carie hatte auch Pearl einen Garten mit Rosen und Kamelien, aber es gab auch Tomaten und Kohl.
    Ich freute mich, Carol wiederzusehen, obgleich ihr Zustand mich traurig stimmte. Sie war jetzt fünf Jahre alt. Ich versuchte, mit ihr zu reden, doch sie zeigte keinerlei Reaktion. Auch Lossing traf ich. Seine Haut war weißer, als ich in Erinnerung hatte. Den Unterricht im Klassenzimmer empfand er als Zeitverschwendung und sehnte sich wieder hinaus aufs Feld.
    »Bitte, Weide, bleib zum Essen«, sagte Pearl eines Abends. »Es kostet mich keinerlei Mühe. Für drei Tüten Reis machen die Diener alles am Ende des Monats. Ich habe zwar ein schlechtes Gewissen, doch fast jede weiße Familie in der Stadt lässt sich helfen. Mein Koch ist aus Yangzhou, aber er kann auch kantonesisch und nach Peking-Art kochen.«
    Beim Abendessen wurde ich Zeugin eines Streits zwischen dem Ehepaar. Lossing wollte, dass Pearl bei seinem neuen Feldversuch als Übersetzerin fungierte, doch Pearl weigerte sich.
    »Ich kenne diese Frau nicht mehr«, sagte Lossing halb im Scherz an mich gewandt. »Sie hat keine Verwendung für einen Ehemann, aber dafür eine Affäre mit ihren Romanfiguren.«
    »Vielleicht mildert das Schreiben ihre Ängste«, sagte ich in dem Versuch, Frieden zu stiften.
    Lossing lachte laut auf. »Nein, Weide, du kennst sie nicht. Dieser Frau ist meine Welt zu klein. Die wahren Dämonen hier sind Eitelkeit und Habgier. Und obwohl Pearl ehrgeizig ist, hat sie doch wenig Talent und kaum Übung. Sie will Romanschreiberin sein, kann aber weder eine akademische Ausbildung vorweisen noch einen Stoff. Sie hat als Mutter versagt und wird ebenso versagen, wenn sie sich als Schriftstellerin versucht.«
    Pearl starrte Lossing angewidert an.
    Doch Lossing fuhr unbeirrt fort. »Wenn ein Hobby zur Obsession wird, ist das destruktiv.«
    »Hör auf, Lossing«, sagte Pearl, ihre Wut niederhaltend.
    »Du trägst Verantwortung«, erwiderte Lossing. »Du schuldest dieser Familie etwas!«
    »Bitte sei still.«
    »Ich habe das Recht, zu sagen, was ich denke. Und Weide hat ein Recht auf die Wahrheit.«
    »Welche Wahrheit?« Pearls Augen brannten.
    »Dass diese Ehe ein Fehler ist!«, schrie Lossing.
    »Als führten wir überhaupt eine Ehe!«, erwiderte Pearl.
    »Stimmt, das tun wir nicht!«
    »Du hast kein Recht zu verlangen, dass ich zu schreiben aufhöre«, sagte Pearl.
    »Dann steht dein Entschluss also fest?« Lossing sah sie an. »Du ignorierst meine Bedürfnisse und lässt diese Familie im Stich.«
    »Wie lasse ich sie im Stich?«
    »Du verschwindest geistig, wenn du schreibst. Wir existieren nicht, jedenfalls ich nicht. Du weigerst dich, mit mir zu arbeiten und die Familie mitzuernähren. Ohne dich kann ich meine Arbeit nicht machen, das weißt du genau. Du tust, als wäre dein Schreiben ein Job, doch ich sehe nur amateurhaftes Rumgekritzel. Darf ich dich daran erinnern, dass ich das ganze Geld verdiene, die Miete bezahle, alle Lebenshaltungskosten und auch Carols Arztrechnungen!«
    »Schreiben hilft mir, nicht verrückt zu werden.« Pearl war den Tränen nahe.
    »Das scheint mir aber nicht so.«
    Pearl hatte Mühe, sich zusammenzureißen.
    Lossing zeterte weiter.
    Pearl gab sich geschlagen. Sie stand auf und ging in die Küche.
    Vom Wohnzimmer hörte ich, wie Carol schrie und das Dienstmädchen rief: »Leg das hin!«
    »Es ist doch nur vernünftig, was ich sage«, erklärte mir Lossing. »Ich verstehe ja, dass Pearl Romane schreiben will, um ihrem Leben zu entfliehen. Aber wer will ihre Geschichten schon lesen? Die Chinesen brauchen keine blonde Frau, die über sie schreibt, und die Menschen aus dem Westen interessieren sich nicht für China. Wie kommt Pearl nur darauf, damit Erfolg haben zu

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