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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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Zeit, dass unsere Schriftsteller Führungsqualitäten zeigen …«
    Pearl hob die Hand.
    Hsu Chih-mo bedeutete ihr mit einem Nicken zu sprechen.
    »Sind Sie jemals auf den Gedanken gekommen«, sagte Pearl, »dass ein Autor wie jemand
aus
dem Volk schreiben möchte? Ganz egal, wie man das Grauen rechtfertigt, das Sie gerade als Beispiel angeführt haben, bleibt doch die Tatsache, dass Bauern die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung bilden. Meine Frage ist: Verdienen die Bauern nicht eine eigene Stimme?«
    »Nun, Sie müssen aber einen Bauern finden, der es wert ist«, erwiderte Dick. »Wie beim Pflücken von Obst behält man das Gute und wirft das Schlechte weg. Noch einmal: Wir haben eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft; sie braucht eine moralische Richtschnur.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass Sie keine Autoren veröffentlichen, die über das reale Volk schreiben?«, fragte ich.
    »Ich persönlich nicht.«
    »Dann verwehren Sie fünfundneunzig Prozent des chinesischen Volkes die Möglichkeit, repräsentiert zu werden«, erwiderte Pearl mit schriller Stimme.
    Dick beharrte auf seinem Standpunkt: »Wir verwehren engstirnigen und ungesitteten Leuten eine Stimme.«
    »Und welche Autoren veröffentlichen Sie dann?«, fragte ich.
    »All jene, die sich dem Kampf gegen den Kapitalismus verschrieben haben«, antwortete Dick. »In der Tat treiben wir aggressiv die Veröffentlichung von Werken voran, in denen das Proletariat dargestellt wird. Diese Autoren werden erfolgreich sein.«
    »Dick will die Welt verändern«, frotzelte Hsu Chih-mo.
    »Sollte man die Entscheidung nicht den Lesern überlassen?«, provozierte Pearl.
    »Nein«, sagte Dick. »Leser müssen angeleitet werden.«
    Lächelnd widersprach Pearl. »Die Leser sind klüger, als wir glauben.«
    »Mrs Buck.« Dick sprach jetzt leise, doch immer noch laut genug, dass alle im Raum ihn verstehen konnten. »Ich war der Lektor, der Ihr Manuskript abgelehnt hat. Sicher hatten Sie auch bei anderen Verlagen keinen Erfolg. Damit will ich sagen, dass wir und nicht die Leser entscheiden.«
    Pearl stand auf und verließ den Raum.
    Ich folgte ihr.
    Draußen im Flur strebte Pearl schnurstracks zur Tür. Ich eilte hinter ihr her. Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir, drehte mich um und sah Dick Lin auf mich zukommen.
    Ich blieb stehen, weil ich glaubte, er wollte sich für seine Unhöflichkeit gegenüber meiner Freundin entschuldigen.
    »Weide«, sagte er stattdessen. »Weide, wann kann ich Sie wiedersehen? Ich möchte Sie zum Tee einladen.«
    Ich schenkte ihm ein spöttisches Lächeln, drehte mich um und eilte zur Tür hinaus.
     
    Mit pitschnassen Haaren stand Hsu Chih-mo mir gegenüber am Gartentor und wischte sich den Regen aus dem Gesicht. »Ich möchte mich bei Pearl für meinen Freund entschuldigen.«
    »Pearl Buck hat mir gesagt, dass sie nicht länger dem Nanjinger Literaturkreis anzugehören wünscht.«
    »Dick hatte nicht die Absicht, sie anzugreifen.« Hsu Chih-mo bestand darauf, persönlich mit Pearl zu sprechen.
    Ich sah ihn an und wollte, dass die Zeit stehenblieb. Im Innersten aufgewühlt, fühlte ich mich krank. Immer wieder sagte ich mir, dass der Mann sich nicht für mich interessierte. Doch mein Herz weigerte sich zu hören. Meine Augen himmelten ihn an.
    Hsu Chih-mo blickte unbehaglich zur Seite.
    »Ich werde es ihr ausrichten«, sagte ich leichtfertig.
     
    Pearl saß am Tisch und trank scheinbar gedankenverloren ihren Tee. Ich hatte sie von ihrem Schreibtisch losgeeist und mit zu mir nach Hause genommen, wo Hsu Chih-mo mit ihr reden wollte. Ich war sicher, dass Pearl aufstehen und gehen würde, sobald er die Entschuldigung seines Freundes vorgebracht hatte. So wartete ich ungeduldig auf den Moment, in dem ich mit Hsu Chih-mo allein sein konnte.
    »Dick merkt nicht, was er tut.« Hsu Chih-mo beugte sich vor, die Tasse mit beiden Händen umfassend. »Er ist von Natur aus kämpferisch, aber auch gutherzig. Er ist ein Genie. Eine Unterhaltung mit ihm ist wie das Aussäen von Samen, aus dem Weisheit sprießt, sobald die Sonne darauf scheint. Nur die Menschen, die Ehrlichkeit schätzen, finden Gefallen an Dick. Er ist leidenschaftlich bei allem, woran er glaubt.«
    »Dann sind Sie hier, um Dicks Botschaft zu überbringen?« Pearl blickte auf den Baum vor dem Fenster.
    »Nein«, sagte Hsu Chih-mo kaum lauter als ein Ausatmen. »Ich bin hier, um meine eigene Botschaft zu überbringen.«
    Sie fragte nicht, wie die lautete.
    Er wartete.
    Und es

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