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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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werden …«
    »Carol ist das vielleicht nicht einmal bewusst …«
    »Aber mir!«, rief sie aus.
    Ich war still.
    Sie begann zu schluchzen.
    Ich ging in die Küche und holte ihr ein Glas Wasser.
    »Pearl«, sagte ich sanft. »Du musst dich kämmen und anziehen, und du musst was essen.«
    »Am liebsten würde ich verschwinden und sterben«, erwiderte sie. »Ich muss aus dieser Falle raus.«
    »Schreibst du noch?«, fragte ich.
    »Ich mache nichts anderes. Hier.« Sie schob mir einen Stapel Blätter hin. »Von letzter Woche. Zwei Kurzgeschichten.«
    Ich warf einen Blick auf die Titel. »Der siebte Drache« und »Die Kupplerin«.
    »Du warst produktiv, Pearl.«
    »Hätte ich nicht zu tippen angefangen, wäre ich durchgedreht.«
    Ich fragte, ob irgendwelche Verlage Interesse gezeigt hatten.
    »Nein. Ein Lektor aus New York war wenigstens so nett zu begründen, warum er das Manuskript zurückschickt. Aber die Erklärung war mir nicht neu, Lossing sagt das Gleiche.«
    »Dass die Leser im Westen an China nicht interessiert sind?«
    Sie nickte.
    »Nun, vielleicht kennen sie bislang nur belanglose Geschichten. Es kann dauern, sie davon zu überzeugen, dass deine Geschichten anders sind«, sagte ich. »Hast du es bei chinesischen Verlagen versucht?«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Ich hab mich lächerlich gemacht«, sagte sie und seufzte. »Die rechten Verlage wollten reinen Eskapismus und die linken nur Kommunismus und Russland.«
    »Und mit beidem hast du nichts am Hut.«
    »Richtig.«
    »Leider brauchst du trotzdem Geld.«
    »Leider.«
     
    Ich lud Pearl auf die Neujahrsparty des
Nanjinger Tageblatt
ein. Pearl wollte nicht kommen, doch ich bestand darauf.
    »Hsu Chih-mo wird auch da sein.« Ich konnte meine Aufregung kaum verbergen.
    »Schön für dich, denn du bist an ihm interessiert, nicht ich.«
    »Er ist der Einzige, der nichts von dir gelesen hat. Aber er interessiert sich für deine Arbeit.«
    »Ich gehe nicht hin.«
    »Bitte. Ich will nicht allein hingehen.«
    »Oh, ich verstehe.«
    »Kommst du mit?«
    »Okay, aber nur zum Tee.«
     
    Hsu Chih-mo stand auf einem Stuhl und wedelte mit den Armen. »Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen meinen besten Freund vorstellen, die große Hoffnung für Chinas neue Literatur, Dick Lin! Er ist der siebte Übersetzer von Karl Marx’
Kommunistischem Manifest
und Lektor des
Shanghaier Avant-Garde Magazins
.« Hsu Chih-mo trug einen westlichen schwarzen Seidenanzug mit Stehkragen und chinesische Baumwollschuhe. Sein ordentlich gekämmtes Haar war in der Mitte gescheitelt.
    Die Leute jubelten. »Dick Lin! Dick Lin!«
    Dick Lin, ein kleiner Mann mit breiten Schultern und schwarz gerandeter Brille, begrüßte Pearl und mich mit einem Händeschütteln. Er war Mitte dreißig, hatte Froschaugen und eine krumme Nase. Seine Mundwinkel hingen nach unten, was ihm einen ernsten, fast bitteren Ausdruck verlieh.
    »Ich bewundere Ihre Arbeit beim
Nanjinger Tageblatt
«, ließ er mich unumwunden wissen. »Haben Sie Lust, für uns zu arbeiten?«
    Obwohl ich mich geschmeichelt fühlte, irritierte mich seine Direktheit.
    »Wir bieten Ihnen eine eigene Seite plus die Wochenendausgabe«, fuhr Dick fort. »Sie haben freie Hand, und wir bezahlen das Gleiche, was Sie jetzt bekommen, plus einen Bonus.«
    Ich sah Pearl an. »Ist das sein Ernst?«, stand in meinen Augen.
    Sie lächelte.
    Dick wandte sich an Pearl und sprach zu ihr auf Englisch mit chinesischem Akzent. »Willkommen in China.« Er verbeugte sich übertrieben. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen! Hsu Chih-mo hat mir erzählt, Sie waren noch in den Windeln, als Sie nach China gekommen sind. Ist das wahr? Kein Wunder, dass Ihr Chinesisch perfekt ist. Wussten Sie, dass Chinesisch für Fremde eine gefährliche Sprache ist? Eine falsche Betonung, und »guten Morgen« wird zu »gehen wir zusammen ins Bett«.
     
    Die Debatte mit dem Thema: »Sollen Schriftsteller für das Volk oder wie das Volk schreiben?« wurde von Hsu Chih-mo moderiert. Schon bald entspann sich eine heftige Diskussion.
    »Ein Schriftsteller hat die Pflicht, das gesellschaftliche Bewusstsein wachzurütteln«, beharrte Dick. »Er muss die Bauern lehren, dass es eine Scham gibt – ich rede von denen, die das Brot gekauft und gegessen haben, das aus den Leichen der Revolutionäre gemacht wurde!«
    Die Menschenmenge klatschte.
    »China ist dort, wo es jetzt ist, weil unsere Intellektuellen eigennützig, arrogant, dekadent und verantwortungslos sind«, fuhr Dick fort. »Es wird

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