Goldener Bambus
niemals meinen Glauben an Gott aufgeben können. Ich betete im Dunkeln, kniete nieder, wenn Dick und Rouge schliefen. Und ich war entschlossen, so lange wie möglich meine Brieffreundschaft mit Pearl aufrechtzuerhalten.
Dicks Magenschmerzen wurden schlimmer, und schließlich musste er operiert werden. Zwei Drittel seines Magens wurden entfernt. Vom Krankenhausbett aus setzte er seine Arbeit fort. Er pflegte Kontakt mit einigen der einflussreichsten Leute, von Chiang Kai-sheks ehemaligen Ministern bis hin zu berühmten Künstlern. Dicks Ziel war es, für Mao nationale und internationale Legitimation zu erlangen. »Der Vorsitzende Mao muss mehr Freunde gewinnen. Amerika kann Taiwan jederzeit als Militärbasis benutzen, um China anzugreifen«, erklärte Dick Rouge.
Als Chinas neuer Minister des Amtes für Kultur, Wissenschaft und Kunst ermutigte Dick die im Ausland lebenden Chinesen zur Rückkehr in ihre Heimat. In den folgenden zehn Jahren sollte er Hunderte von Briefen schreiben, in denen er seinen Freunden in der ganzen Welt erzählte, dass »Mao ein weiser und gnädiger Mann ist, der Talent erkennt und zu schätzen weiß«.
Zu denen, die zurückkamen, gehörten Intellektuelle, Wissenschaftler, Architekten, Dramatiker, Schriftsteller und Künstler. Im Namen der Kommunistischen Partei garantierte Dick ihnen ein Einkommen, Meinungsfreiheit und einen privilegierten Lebensstil. Dick machte sie zu Leitern der nationalen Theater und Universitäten. Jeden Morgen fuhr er in seinem Jeep los, um Neuankömmlinge zu empfangen. Jeden Abend gab er eine fröhliche Willkommensparty.
Auf einer dieser Partys trank Dick zu viel. Am nächsten Morgen sagte er mit dicken, blutunterlaufenen Augen: »Wenn Hsu Chih-mo nicht gestorben wäre, hätte ich ihn eingeladen. Es hätte ihm sicher gefallen.«
»Hsu Chih-mo würde sich nicht verstecken, so wie ich«, erwiderte ich. »Er hätte Mao kritisiert und ihm ins Gesicht gesagt, dass seine Dichtung amateurhaft ist.«
»Wen versucht du eigentlich in Frage zu stellen?« Dick war genervt. »Warum musst du immer so zynisch sein?«
»Ich hinterfrage nur, wie das mit der Meinungsfreiheit in China wirklich ist«, sagte ich. »Bist du sicher, das Versprechen halten zu können, das du so vielen gibst?«
Dick verstand meine Sorge. Er konnte meine Frage nicht beantworten, denn tief im Inneren wusste er, dass »Maos Wille« der »Wille der Nation« sein würde.
»Möglicherweise schleppst du selbst den Stein, der dir am Ende die Zehen zertrümmert«, bemerkte ich besorgt.
Dick legte den Arm um meine Schultern und sagte, dass er mir zustimmte. »Aber ich muss an meine Arbeit glauben.«
Ich legte mein Gesicht in seine Hand, sagte ihm, dass ich ihn verstehe.
»Ich muss darauf vertrauen, dass die anderen meine Werte teilen«, sagte Dick mit sanfter Stimme.
»Du bist naiv.«
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach er mich. »Deine Sorgen sind berechtigt, aber unnötig.«
»Ich sehe es kommen.«
»Weide, du hast eine lebhafte Phantasie. Pass auf, dass sie dich nicht in den Wahnsinn treibt.«
»Ich sage das jetzt nur einmal. Hör zu, ich bin deine Frau und kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du und Mao verschieden seid.«
»Wir ergänzen uns.«
»Das meine ich nicht.«
»Ich weiß, was du meinst, Liebling.«
»Lass mich bitte sagen, was ich denke.« Ich war beunruhigt. »Um seinen Willen durchzusetzen, wird Mao nicht zögern, andere zu verfolgen oder – darf ich es sagen? – zu ermorden. Es wäre nicht das erste Mal.«
Dick trat ein paar Schritte zurück. »Mao ist nicht der Besitzer der Partei«, erwiderte er mit fester Stimme. »Im Kommunismus geht es um Gerechtigkeit und Demokratie.«
Dick führte mich zu seinem Zimmer, wo er die oberste Schublade des Schreibtischs aufzog. Er nahm einen Briefumschlag heraus. Ich erkannte sofort Pearls Handschrift. Der Brief war laut Stempel vor zwei Monaten eingetroffen und bereits geöffnet. Der Umschlag war leer.
»Man hat meine Privatsphäre verletzt«, protestierte ich.
»Maos Sicherheitsleute haben ihn aufgemacht.«
»Wo ist der Brief?«
»Das Zentralbüro hat ihn. Ich wurde von der Konfiszierung informiert.«
»Warum hast du dich nicht für mich eingesetzt?«
»Das habe ich, sonst wärst du jetzt nicht mehr hier!« Dick schrie beinahe.
Ich wusste, dass Dick sein Bestes getan hatte.
»Sieh dir das an.« Er holte weitere Unterlagen aus der Schublade. »Hier sind noch mehr Beweise. Ich hab nicht nur einmal für dich gekämpft, sondern
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