Goldener Reiter: Roman (German Edition)
die nächste Erdbeere vor den Mund. Ich schlucke die erste Erdbeere hinunter. Ich nehme die zweite in den Mund. Die Hand streicht über meine Haare. Es weht ein leichter Wind. Die Formen tanzen um mich herum auf dem Hochhausdach. Und ich würde lachen, hätte ich nicht eine Erdbeere im Mund.
Ich öffne die Augen.
Mein Herz schlägt schnell. Mein Zimmer ist still und dunkel.
Meine Augen sind nass. Die Tür zum Flur steht offen. Von unten ist kein Laut zu hören. Ich setze mich auf und lausche. Ich lege mich wieder hin und ziehe mir die Decke bis ans Kinn.
75
Der Wecker klingelt. Das bedeutet, dass es sieben Uhr morgens ist. Ich setze mich auf. Wenn ich liegen bleibe, schlafe ich wieder ein. Ich ziehe den Rollladen hoch. Die Sonne bescheint die Häuser auf der anderen Seite der Autobahn. Ich gehe ins Badezimmer und lasse mir Wasser über den Kopf laufen. Ich wasche mir das Gesicht. Ich putze mir die Zähne. Ich gehe die Treppe hinunter. In der Küche stelle ich einen Topf auf den Herd. Ich mache mir eine Ovomaltine. Ich gehe ins Wohnzimmer und ziehe die Rollläden hoch.
Ich ziehe mich an. Die Unterwäsche und die Socken kann ich noch einmal anziehen. Es sind braune Socken mit beigen Rauten. Dann muss ich die Waschmaschine nicht so oft anstellen. Ich gehe wieder hinunter und öffne die Haustür. Die Zeitung liegt auf der Fußmatte.
Das Wasser kocht. Ich steche ein Ei mit dem Eierpikser an. Ich lege das Ei mit einem Löffel in das Wasser. Ich stelle die Eieruhr auf sieben Minuten. Ich rühre meine Ovomaltine um und trinke einen Schluck. Ich gieße mir ein Glas Orangensaft ein, Hohes C, wegen der Vitamine. Ich hole Toast aus dem Brotkasten, zwei Scheiben. Ich stecke sie in den Toaster. Ich hole einen Frühstücksteller aus dem Schrank. Ich lege ein Messer neben den Teller. Ich hole den Honig aus dem Küchenschrank. Ich hole die Margarine und die Marmelade aus dem Kühlschrank. Es ist Diät-Marmelade mit weniger Zucker. Ich habe mit meiner Mutter einmal eine Brigitte -Diät gemacht. Mein Toast ist fertig. Die Eieruhr klingelt.
Ich gucke mir die Überschriften der Zeitung an. Ich sehe auf die Küchenuhr. Es ist noch etwas Zeit. Ich gehe hinauf in mein Zimmer. Ich räume die Hefte auf meinem Schreibtisch zusammen. Ich gehe ins Badezimmer und gucke mich im Spiegel an. Ich sehe so aus, wie ich mich in Erinnerung habe. Ich mache meine Haare nass, damit sie platt liegen. Ich packe meinen Ranzen.
Ich spüle den Teller, das Messer, den Löffel, den Eierbecher, das Glas und den Becher mit kaltem Wasser ab. Das kann ich morgen noch einmal benutzen. Ich räume die Margarine, die Marmelade und den Honig weg. Ich wische den Tisch mit dem Lappen ab. Ich schaue noch einmal ins Wohnzimmer, ich schaue auf die Uhr: Ich habe noch sechzehn Minuten Zeit. Ich setze mich auf das Sofa. Ich bin müde, meine Augen brennen. Ich lege den Kopf auf die Lehne. Ich schaue hinaus in den Garten.
76
Komm, sagt René. Zieh dich an, wir gehen auf die Trabrennbahn. René hat geklingelt. Er steht vor der Haustür und wartet.
Ist gut, sage ich. Einverstanden.
Nimm Geld mit zum Wetten, sagt René, als ich meine Jacke anziehe. Ich greife mir die Schuhe und setze mich auf die Treppe. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, was Trabrennbahn ist. Ich war noch nie auf der Trabrennbahn. Trabrennbahn hat etwas mit Pferden zu tun. Mit Pferderennen. Aber das sehe ich mir im Fernsehen nicht an. Pferderennen ist der langweiligste Sport der Welt. Und Autorennen. Und Turnen. Aber das sage ich René nicht.
Ich greife in meine Jackentasche, wo mein Portemonnaie steckt. Es ist kein Geld darin. Oben im Schrank meiner Mutter liegen zwei Hundertmarkscheine. Aber die kann ich nicht nehmen. Ich ziehe die Haustür zu und schließe zweimal ab.
Warst du schon mal auf der Trabrennbahn?, frage ich.
Klar, sagt René.
Wir sitzen nebeneinander im Bus und gucken aus dem Fenster. Auf dem Gehweg zieht eine dicke Frau einen Pudel hinter sich her, der Kleidung aus Wolle anhat, obwohl es warm ist.
Du bist jetzt allein zu Hause, sagt René.
Mmh, mache ich.
Wie ist das so, fragt er, allein zu Hause sein?
Gut, sage ich.
Aber deine Mutter ist verrückt, sagt René.
Sie ist psychisch krank, sage ich.
Sie ist in der Klapse, sagt René. Er rollt seinen Fahrschein zwischen den Fingern. Er schaut sich dabei zu, wie er den Fahrschein rollt.
Sie ist im Krankenhaus, sage ich. Im Allgemeinen Krankenhaus Ochsenzoll. Das ist ein Krankenhaus.
Ochsenzoll ist eine Klapse, sagt
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