Goldfalke (German Edition)
worauf Damon herabsah, sein Publikum, das direkt vor dem Eingangsportal dicht an dicht gedrängt der Rede lauschte. Hinter vierzig oder fünfzig graugewandeten Menschenfressern bildete ein gewaltiges Skorpionheer eine unüberschaubare, graubraune, bösartige Masse, die bis zum Horizont reichte.
Obwohl die Skorpionkrieger nach allem, was Kiana über sie wusste, am Tag schliefen und erst nachts aktiv wurden, wirkten diese hier nicht müde. Sowohl der hellen Wüstenso nne wie auch den Worten des Löwen-Sultans begegneten sie mit der für sie so typischen Ausdruckslosigkeit. Hin und wieder richteten sie sich auf und schlugen wie ein einziger Organismus im Gleichklang mit ihren Greifarmen gegen ihre harte Brust. Wohl als eine Art Beifall. Diese Schläge knallten ohrenbetäubend durch die Festung hindurch und traten in Kianas Kopf ein furchtbares Echo los. Genauso hörten sich die Bombenexplosionen an, die Kianas Kindheit begleitet hatten und manchmal heute noch die Stadt heimsuchten, in der sie aufgewachsen war.
„Der Triumph unserer Feinde ist nur von ku rzer Dauer. Lasst euch von ihren Hexentricks nicht verwirren, lasst euch von ein bisschen Wassermagie nicht verunsichern!“
Also wusste Damon bereits von seiner Niederlage an Nesrins Zauberspiegel-See.
„ Am Ende werden wir unsere toten heiligen Krieger rächen und all jene in den Wüstenstaub treten, die unserem Glauben freveln.“
In unregelm äßigen Abständen ragten aus dem Meer aus Greifscheren und Stacheln einzelne Ghule hervor. Im Gegensatz zu den Skorpionen schienen sie kein Wort von dem zu verstehen, was ihr Sultan ihnen sagte, und wirkten eher eingeschüchtert als begeistert.
Wenn auch nicht annähernd so eingeschüchtert wie Kiana. Fast befürchtete sie, dass selbst der Windhauch ihres bewusst flachen Atems irgendjemanden alarmieren würden.
Oder irgendetwas.
„Die Leiber derer, die sich uns in den Weg stellen, werden eure Bäuche füllen und ihr Gold unsere Schatztruhen.“
So geräuschlos wie möglich zog sie sich zurück und schob sich an der Wand des Thronsaal s entlang auf den hinteren Gang zu, aus dem sie gekommen war. Das Geräusch einiger Sandkörner, die noch an ihren Schuhsohlen hafteten und über den metallartigen Boden knirschten, bereitete ihr fast körperliche Schmerzen und ließ sie schnell auf den nächsten Teppich grätschen.
„ Wir werden bei Einbruch der Dämmerung aufbrechen und die Ungläubigen in den Untergang schicken. Es sind nur zwei Tagesmärsche bis zum Schimmernden Palast.“
Diese Worte des Schrecklichen Sultans froren Kiana mitten in der Bewegung fest.
Verbissen kämpfte sie ihre Erstarrung nieder und erreichte erleichtert den Gang hinter dem Thronsaal. Zum Glück war er noch immer menschenleer. Und monsterleer. Die Löwen auf den Wandteppichen drohten ihr mit aufgerissenen Mäulern, als sie an ihnen vorbeihastete. Beinahe glaubte sie, Raubtiergeruch wahrzunehmen. Eine der Pranken langte sogar aus einem der Wandteppiche heraus, verfehlte Kiana jedoch knapp. Stumm befahl sie dem Falken auf ihrer Schulter, aufzupassen und sie zu warnen, falls sich Gefahr näherte.
Der Gang schien endlos. Als sie den gesamten Thronsaal von hinten umrundet hatte und schon befürchtete, irgendwo vorne bei Damons Bühne herauszukommen, sah sie plötzlich zwei Treppen vor sich. Eine führte nach oben in einen der Nebentürme. Und eine nach unten. Diese nahm Kiana.
Hier hörte der Luxus schlagartig auf. Dieser Treppe nschacht zeigte sich genauso karg und düster wie der Turm, den sie herabgestiegen war. Auf dem Weg in die Tiefe begegnete ihr niemand. Offenbar waren alle von Damons Anhängern oben, um an seinen Lippen zu hängen.
Umso besser!
Damons Stimme wurde leiser und leiser. Kiana stieg noch tiefer hinab, bis gar kein Laut mehr zu hören war. Die wenigen Fackeln spendeten ein spärliches, unheilvolles Licht. Plötzlich überfiel Kiana die Erinnerung an das, was Nesrin über die Flammen in der Ehernen Festung gesagt hatte, nämlich dass jede früher einmal der Dschinn eines Menschenfressers gewesen war. Und sogleich wirkte es noch unheimlicher hier unten in den Eingeweiden von Damons Burg.
Etliche Türen gingen von der Treppe ab, sowie Quergänge, Durchlässe, Nebentreppen. Kiana durchkämmte alles, fand Schatztruhen, Vorratsräume, Waffenkammern und - oh ja! - ein Gewölbe mit mehreren riesigen Wassertanks. Alles in den Räumen, sogar die kleinsten Einrichtungsgegenstände, waren mit dem Boden oder den Wänden verschraubt oder
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