Goldfalke (German Edition)
Festung: „Wer mir, eurem Sultan, gehorsam in den Kampf folgt, auf den warten Ruhm und Ehre.“
Diese Stimme klang … ja, fast schon angenehm. Auf eine männliche, befehlsgewohnte Herrscher-Art. „Wer bei unserem heiligen Krieg den Heldentod stirbt, fährt unverzüglich ein ins Paradies. Dort warten angenehm warme Erdlöcher und Felsgrotten auf euch, wo ihr entspannt ruhen könnt. Dort gibt es mehr Beutetiere zu jagen und mehr willige Skorpionfrauen zu begatten, als ihr zu hoffen wagt. Die paradiesischen Wonnen werdet ihr ewig genießen, wenn ihr mir, eurem Sultan, bedingungslos gehorcht, denn ich bin der Gesandte dieses Paradieses. Ich bin der Wesir des Schöpfers. Gehorcht mir, oder friert auf ewig in der Hölle!“
Die Treppe mündete in einen Gang, der an der Hinterseite des Haupttraktes entlang zu laufen schien, mit einer Reihe von dreieckigen Fenstern auf der Außenwand und kunstvollen Wandteppichen und Gemälden auf der Innenwand. Die Kunstwerke stellten allesamt verschiedene Jagdszenen von Löwen dar und vermittelten im Gegensatz zur kahlen Ausstattung des Turms durchaus den Eindruck, dass hier ein reicher Sultan wohnte. Eine offene Tür erregte Kianas Aufmerksamkeit.
„Wer aber an meinen Worten zweifelt“, sprach der unsichtbare Redner weiter, „erntet ewige Verdammnis in der klirrenden Eiseskälte der Hölle.“
Geräuschlos schmiegte sich Kiana an einem großen Wandteppich entlang auf die offene Tür zu. Kurz überlegte sie, den Falken vorzuschicken und durch seine Augen zu erspähen, was sich hinter der Tür befand, verwarf die Idee aber sofort wieder, weil sie ihren Körper nicht schutzlos zurücklassen wollte.
So wie vorhin.
Stattdessen lugte sie selber durch die Tür und sah in einen großen Saal, der in königlichem Luxus erstrahlte. Kostbare Teppiche, Kissen aus Seide und Goldbrokat, goldene Löwenstatuen, eine Sammlung von Krummdolchen mit edelsteinbesetzten Griffen an der Seitenwand und ein mit Gold und Rubinen verzierter Thron wurden zum Glänzen gebracht durch die allgegenwärtigen Wandfackeln und das Sonnenlicht, das durch das spaltbreit offen stehende Tor am anderen Ende drang. Da sich im ganzen Thronsaal niemand befand, wagte es Kiana, hinein zu schlüpfen und an der linken Wand entlang zum Tor am anderen Ende zu schleichen. Vielleicht ging ja von dort eine Treppe nach unten ins Verlies ab.
„Folgt mir in unseren heiligen Krieg! Wer diesem Ruf der Ehre nicht folgt, wird den Tod des Feiglings sterben und auf ewig in der Hölle leiden, wo grelles Licht seine Seele foltert und tiefe Kälte seine Eingeweide zu Eis erstarren lässt.“
Am Tor angelangt wagte Kiana einen kurzen Blick durch den Spalt zwischen den Türflügeln und schaute von hinten in eine Art Eingangshalle. Diese war ähnlich wie die vom Schimmernden Palast gebaut und besaß ebenfalls seitliche Türen, Durchgänge und Treppen und Kiana gegenüber ein riesiges Eingangsportal. Nur, dass diese Eingangshalle hier wie eine Bühne wirkte.
Eine Bühne für den Redner, der dort mit dem Rücken zu Kiana auf einem mannshohen, goldenen Podest im Torbogen des weit offenen Außenportals stand. Sonnenlicht umstrahlte seine hochgewachsene Gestalt und brachte die graue Seide seiner Kleidung zum Glänzen. Dies musste der Mann sein, den alle den Löwen-Sultan nannten. Oder den Schrecklichen Sultan. Was ihn sicher mindestens genauso treffend beschrieb. Und das also war es gewesen, was Farid gemeint hatte mit seiner Aussage, sein Vater wäre im Moment beschäftigt.
„Gehorcht mir, und unsere Feinde werden erzittern vor euch!“
Daran zweifelte Kiana keine Sekunde.
„Gemeinsam werden wir über Wüste n, Berge, Oasen, Städte und Basare gebieten. Die Ungläubigen und Abtrünnigen aber, die mir den Gehorsam verweigern und unseren Lehren nicht glauben, werden es bitter bereuen! Sie werden in eine frostige Hölle einfahren, wo selbst die Luft gespickt ist mit Eisnadeln.“
Am Fuß des Rednerpodests befanden sich drei Gestalten: links ein beleibter Herr, als Einziger farbenfroh in Violett und Gold gekleidet, und rechts … die Wildstreune?
Ja, das war sie. Kiana erkannte sie an ihrem zerzausten Haar, das unter dem grauen Turban, den sie jetzt trug, widerspenstig hervorragte. Und bei ihr stand Farid.
Ihn so eng neben Damon zu sehen, so groß und breitschultrig wie er, so grau gekleidet wie er, so … verwandt mit ihm, stach wie der Stachel eines Skorpions in Kianas Herz.
Was ihren Puls jedoch gänzlich zum Straucheln brachte, war das,
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