Goldfalke (German Edition)
sie von Nesrin gelernt hatte, war dieser unsichtbare Dschinn mit Chunkar gestorben. Wahrscheinlich wäre jetzt der beste Zeitpunkt gewesen, Farid zu erzählen, warum Chunkar oder sein Dschinn nie mehr eine Gefahr darstellen würden. Aber das Misstrauen in Kiana, neu entfacht durch Farids Vorstellungen über die zukünftigen Herrschaftsverhältnisse in der Klaren Welt, hielt sie davon ab. So hauchte sie nur: „Warum hast du dich für mich eingesetzt, wo ich doch deinen Plänen im Weg bin?“
Ohne auf diese Frage einzugehen knurrte er: „Bisher hattest du unglaubliches Glück. Aber lege dich nie wieder mit meinem Vater an! Sonst kann dich keiner vor ihm schützen. Nicht einmal ich.“
„Warum hast du es überhaupt versucht, ich meine, mich zu beschützen?“, beharrte sie.
S ein Gesicht war plötzlich sehr nah bei ihrem. Seine Adleraugen fixierten sie wie Beute. Sein Atem streifte ihre Wange, wodurch seltsamerweise irgendetwas in ihrer Wirbelsäule zu schmoren begann. Kiana war sich sicher, dass er sie gleich küssen würde.
Oder verbrennen.
Oder … irgendetwas.
Aber er str affte nur seine Schultern, schob Kiana aus dem Weg und ging in Richtung Haupttreppe. Das Klacken seiner Stiefel auf dem Marmor knallte durch die Stille des Ganges und fand ein Echo in Kianas Puls.
Am nächsten Morgen wurde sie geweckt durch das Rascheln von ... ja, von was? Widerwillig hob sie ihre Lider gerade so weit, dass etwas von dem neuen Tag zu ihr durchdrang. Und von dem Anblick einer halbnackten Nesrin, die ein gelbes Kleid aus ihrem Schrank zog und kritisch musterte. Es war die Seide, die raschelte, als sie durch Nesrins abwägende Finger glitt. „Oh hallo, Ki, tut mir Leid, ich wollte dich nicht wecken. Was meinst du? Das Gelbe oder das Lavendelfarbene?“
„ Guten Morgen!“, wünschte Kiana, glücklich darüber, dass Nesrin sich wieder anhörte wie Nesrin.
Diese stopfte das gelbe Kleid zurück in den Schrank. „Oder vielleicht doch pink?“
Ächzend richtete sich Kiana auf, schwang ihre Beine über die Bettkante und wunderte sich über die vielen Knochen, die ihr wehtaten. Sie trug noch die Kleidung von gestern, einschließlich der Schuhe. Dunkel erinnerte sie sich daran, dass sie sich einfach auf ihr Bett gesetzt hatte, nur um kurz nachzudenken über ihre Mutter und Farid und … alles. Dabei musste sie einfach umgefallen und eingenickt sein.
Nesrin zog eine weiße, luftige Hose an und wühlte ein kleines rosa Stoffteil aus den Tiefen ihres Schrankes hervor. „Irgendwie ist mir zurzeit nach Pink. Du musst mir unbedingt haargenau erzählen, wie du es geschafft hast, deine Mutter zu befreien!“ Sie zwängte sich in das knappe rosa Oberteil. „Sie ist echt der Hammer, deine Mom! Gestern noch war ich schlaff wie ein Haufen Ghulscheiße, und jetzt könnte ich wieder alles tun, wie frühstücken, deine Story anhören, die Welt retten und so! Also, wie hast du es angestellt, sie aus Damons Rostlaube rauszuholen?“ Mit vor Neugier leuchtenden Augen ließ sie sich auf das Fußende von Kianas Bett sinken.
„ Sei mir nicht böse, Nesrin, aber ich muss mich dringend waschen! Ich fühle mich, als hätte ich den Sand der ganzen Wüste auf mir kleben. Später erzähle ich dir alles.“
„Na gu t!“ Nesrin beäugte Kiana abschätzend. „Ja, ich denke, eine Dusche ist eine gute Idee. Und nimm ordentlich was von Avas Supercreme gegen Sonnenbrand, außer du stehst auf den Tomaten-Look. Ich geh schon mal runter, denn ich hab so einen Hunger, dass ich Kassims Dschinn auffressen könnte. In einem Stück.“
„Kassims Dschinn?“
„Ja, ein riesiger, megafetter Kampfelefant.“ Schwungvoll kam Nesrin auf die Beine. „Also bis gleich! Ich treffe dich dann unten. Beeil dich! Denn ich bin echt gespannt auf deine Geschichte.“ Damit ging sie hinaus auf den Gang und warf die Tür hinter sich ins Schloss.
Kiana schlurfte ins Badezimmer und erschrak vor dem Wesen, das ihr da aus dem Spiegel über dem Waschbecken entgegensah: zerlumpt, mit sandverkrusteten Wangen und wirrem Haar nach Wildstreunen-Art. Das war also das Gesicht gewesen, das ihrer Mutter entgegengeblickt und sich als ihre Tochter ausgegeben hatte! Und das war das Gesicht gewesen, das Farid heute Nacht … nicht geküsst hatte.
Kein Wunder!
Ihre Kleider bestanden nur noch aus Fetzen. Als Kiana sie auszog, rieselte Sand zu Boden. Während sie ihre Kette mit der Glasphiole sorgsam auf ein Handtuch bettete, überkam sie die Sorge, die Außenmauer des Badezimmers
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