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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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gestern Abend, kaum dass die Dunkelheit hereingebrochen war. Und so geht es nun seit Stunden und Stunden – Stürme tosen, Sturzregen prasselt hernieder, und Donnergrollen, lauter als alle Kanonen Kastiliens, lässt Himmel und Erde erzittern. Blitze in teuflisch grellen Farben zerreißen die Dunkelheit – rot wie Blut, wie Quetzalcoatls Gewänder, und dann wieder gleißend gelb, als würden verrückte Dämonen dort draußen das schwarze Tuch der Nacht mit goldenen Sicheln zerfetzen. Und dazu unablässig dieses Stöhnen und Seufzen und Winseln, dieses Ächzen und Wimmern, diese schlurfenden, nachschleifendenSchritte – als hätten die Zauberer wahrhaftig alle Toten aus ihren Gräbern aufgescheucht und in unser Lager getrieben.
    Unaufhörlich bimmeln unsere Priester mit ihren Glocken und rufen Gebete zum dröhnenden Himmel hinauf. Keine der teuflischen Erscheinungen, haben sie uns versichert, könne über die Schwellen unserer Hütten gelangen. Denn über jeder Tür hängt ein Kruzifix und jede einzelne Behausung haben unsere Priester gestern Abend noch hastig mit Weihwasser besprengt.
    »Vater unser«, murmele ich wie alle anderen im Lager – außer jenen, die wie Diego sogar im Angesicht der heulenden Hölle tief und fest schlafen. »Dein Reich komme …«
    Meine Zähne klappern gegeneinander. Da draußen schleicht schon wieder eine Kreatur der Hölle umher, unmittelbar vor unserer Hütte – und jetzt stößt sie einen erbarmungswürdigen Schrei aus!
    Ich vergesse zu atmen. Meine Kehle zieht sich zusammen. Das war keine Kreatur aus der Hölle, keine teuflische Spukerscheinung – das war Carlita!
    Ich springe aus meiner Hängematte, ohne richtig mitzubekommen, was ich da eigentlich mache. Ich werfe mich gegen den mit Leder bespannten Holzrahmen, der bei diesen Hütten die Tür ersetzt, und taumele nach draußen. Das ist kein Regen, es ist eine Sturzflut. Wo der Weg war, ergießt sich ein reißender Bach. Grellfarbene Blitze zucken über den Himmel. Im nächsten Moment ist es umso dunkler, eine Finsternis so dick, als wäre mein Kopf mit schwarzem Tuch umwickelt.
    »Carapitzli!«, rufe ich, aber der Donner, das Schreien und Heulen sind so laut, dass ich meine eigene Stimme kaum hören kann.
    Dann abermals ein Schrei – von ihr, ganz bestimmt von ihr! »Orte!«, schreit sie mit überkippender Stimme. Und dann einen Schwall von Worten in Nahuatl, von denen ich kein einziges verstehen kann.
    Ich stolpere voran, ich rudere mit den Armen. »Carlita!«, rufe ich.
    Die reißende Strömung zerrt an meinen Füßen und bringt mich fast zu Fall. Und dann zuckt wieder ein Blitz auf, rot wie Quetzalcoatls Federgewand, und in diesem unheimlichen Licht kann ich ganz kurz die schlanke Gestalt da vorne am Ende des Hüttenwegs sehen. Aufzuckend wie eine Ahnung, dann schon wieder verschlungen von Dunkelheit.
    Längst bin ich durchnässt bis auf die Haut. Zwischen den Hütten kauern Schatten, belauern mich mit hohlen Totenaugen – zumindest kommt es mir so vor. Wer sonst soll es schließlich sein, der diese schaurigen Laute ausstößt, dieses Winseln und röchelnde Atemholen, dieses Stöhnen und Heulen voller Gier?
    Was helfen uns schon unsere »Wunderwaffen«, schießt es mir durch den Kopf, alle unsere Rüstungen und Kanonen und Pferde – gegen einen Gegner, der solche Dämonen zu entfesseln vermag?
    »Carlita!«, rufe ich.
    Sie liegt mit dem Gesicht nach unten am Wegrand. Ich werfe mich neben ihr in den Schlamm. Ihr ganzer Körper zuckt und bebt. Ihre Hände scharren fieberhaft im Laub herum.
    Ich lege einen Arm um sie und versuche, sie von dort wegzuziehen. »Hör damit auf!«, schreie ich ihr ins Ohr. Aber sie hört einfach nicht auf. Im Gegenteil, sie scharrt und gräbt nur noch wilder im Laub und im Schlamm herum.
    Als wieder ein Blitz aufzuckt, kann ich ganz kurz sehen, was sie da halb schon freigescharrt hat.
    »Nicht, Carapitzli! Lass das sein!«, schreie ich und packe sie bei den Schultern. Aber ich schaffe es nicht, sie von diesem grässlichen Ding wegzuziehen. Sie ist stark, sie ist schließlich meine Amazone! In Potonchan hat sie den hünenhaften Krieger mit einem einzigen Hieb erschlagen. »Bitte, Carlita!«, flehe ich. »Du selbst hast mir gesagt, dass man diese Zauberdinger nicht anfassen darf!«
    Das Ding hier sieht sogar noch viel grauenvoller aus als neulich die gekreuzten und mit Tuchfetzen umwickelten Knochen. Was Carapitzli diesmal freigescharrt hat, ist ein winziger Kopf, kaum größer als meine Faust, mit

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