Goldgrube
Computerrecherche war nicht ganz astrein gewesen. Ich hoffte, sie würde wegen meiner Bitte nun keinen Arger bekommen. Ich sah nach dem Faxgerät in Lonnies Büro und fand die Kopie von Max Outhwaites Brief wie versprochen im Ausgabeschlitz vor. Dann ging ich in mein Büro und las auf dem Weg dorthin den Brief durch.
Sehr geehrter Mr. Katzenbach,
ich dachte, das Sie vielleicht an einer modernen Geschichte über ein "männliches Aschenputtel" interessiert sein könnten, die direkt hier in Santa Teresa spielt! Soweit ich weiß, sind Sie der Reporter, der letzten Monat über Bader Maleks Tod berichtet hat. Nun hat sich in der Stadt herumgesprochen, das seine Nachlaßanwältin eine Privatdetektivin (allen Ernstes eine krau!) engagiert hat, um seinen verschollenen Sohn Guy ausfindig zu machen. Wenn Sie schon so lange hier leben wie ich, erinnern Sie sich bestimmt noch daran, das Guy als junger Mann bei einer Reihe von Missetaten erwischt wurde, und schließlich vor fast Zwanzig Jahren hier von der Bildfläche verschwand. Man sollte eigentlich annehmen, das es schwierig werden würde, jemanden nach so langer Zeit aufzuspüren, aber Milhone (die oben erwähnte "Detektivin") hat die Daten der KFZ-Zulassungsstelle überprüft, und ihn in nicht einmal Zwei Tagen gefunden!! Anscheinend hat er die ganze Zeit, seit er verschwunden ist, in Marcella gewohnt, und er arbeitet als Hausmeister in einer Kirche dort oben! Er ist einer von diesen "Wiedergeborenen", und ist wahrscheinlich völlig abgebrannt, aber der Tod seines Vaters hat ihn im Handumdrehen zum Milionär gemacht!! Ich denke, es baut die Deute sicher auf, wenn sie hören, wie er es geschafft hat, sein leben von Grund auf zu ändern, durch seinen christlichen Glauben. Bestimmt würden ihre Leser auch gern hören, was er mit seinem neuentdeckten Reichtum vorhat. Bei all den schlechten Nachrichten, die Tagein Tagaus über uns hereinbrechen, wäre doch diese Geschichte sicher sehr aufbauend für Jeden, ich finde, es wäre eine wunderbare Inspiration für die Gemeinde! Hoffen wir nur, das Guy Malek bereit ist, die Geschichte seines "Glücks" mit uns zu teilen, ich freue mich schon darauf, einen solchen Artikel zu lesen, und weiß, das Sie ihn bestimmt gut schreiben würden! Viel Glück und Gottes Segen!
Hochachtungsvoll,
Max Outhwaite
2905 Connecticut Ave.
Colgate, GA
Ich merkte, daß ich den Brief an den Ecken hielt, als wollte ich es vermeiden, Fingerabdrücke zu verwischen, eine lächerliche Vorkehrung angesichts der Tatsache, daß es nicht einmal das Original war. Das Schreiben war ordentlich getippt, ohne sichtbare Korrekturen oder ausgeixte Wörter. Allerdings enthielt es einige Rechtschreibfehler (mein Name eingeschlossen), zu viele Kommas, eine Tendenz zur Emphase und mehrere unnötige Großschreibungen, aber ansonsten schienen die Absichten des Absenders wohlwollender Natur zu sein. Abgesehen davon, daß er die Presse auf etwas aufmerksam gemacht hatte, was niemand anderen etwas anging, konnte ich keinen speziellen Versuch herauslesen, sich in Guy Maleks Leben einzumischen. Maximilian (oder womöglich Maxine) Outhwaite dachte offenbar, die Abonnenten des Santa Teresa Dispatch würden die Geschichte des vom Saulus zum Paulus gewordenen Jungen und der Belohnung, die er dafür bekam, rührend finden! Outhwaite schien keine eigennützigen Motive zu verfolgen, und es fand sich auch keine Spur von Boshaftigkeit, die seine (oder ihre) Begeisterung für die Geschichte untergraben hätte. Also was wurde hier gespielt?
Ich legte den Brief beiseite und drehte mich auf meinem Drehstuhl, während ich das Schriftstück verstohlen aus den Augenwinkeln musterte. In meiner Eigenschaft als »Dedektivin« beunruhigte mich das verdammte Ding etwas. Mir gefiel die intime Detailkenntnis überhaupt nicht, und ich zerbrach mir den Kopf darüber, was für ein Motiv dahintersteckte. Der Ton war unbefangen, aber das Manöver hatte seine Wirkung getan. Auf einmal hatte Guy Maleks Privatangelegenheit öffentliches Interesse gefunden.
Ich legte den Brief in die Malek-Akte und gab ihn zur näheren Betrachtung an meine Psyche weiter.
Den Rest des Vormittags verbrachte ich im Gerichtsgebäude, wo ich mich um andere Angelegenheiten kümmerte. In der Regel arbeite ich an fünfzehn bis zwanzig verschiedenen Fällen. Nicht alle sind eilig, und nicht alle verlangen zur gleichen Zeit meine Aufmerksamkeit. Ich mache öfter Hintergrundrecherchen für eine Forschungs- und Entwicklungsfirma
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